Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 1
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Russkie pisateli 20 veka


01-1-063
Russkie pisateli 20 veka : biograficeskij slovar' / glavnyj red. i sostavitel': P. A. Nikolaev. - Moskva : Naucnoe Izdat. "Bol'saja Rossijskaja Enciklopedija" ; Randevu - A.M., 2000. - 806 S. : Ill. ; 27 cm. - (Serija biograficeskich slovarej). - ISBN 5-85270-289-7 : DM 150.00 (Kubon & Sagner, München)
[6284]

Noch heute lohnt es sich, zur Information über russische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts auch die Kratkaja literaturnaja enciklopedija aufzuschlagen. Manche Artikel zeigen den Mut von Autor und Redaktion, bis an die Grenze des für die Zensur Akzeptablen gegangen zu sein, andere veranschaulichen die offiziöse Parteimeinung und mahnen zur Zurückhaltung gegenüber gegenwärtigen Veröffentlichungen derselben Autoren. Mit Hilfe des Kulturministeriums der Russischen Föderation wurde 1996 als erstes Lexikon russischer Schriftsteller, das auch Emigranten und unterdrückte Schriftsteller einbezieht, mein 1992 erschienenes Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts auf russisch verlegt.[1] In der Sowjetzeit hatte man es geschmäht, doch in Fachkreisen war die auf der 1. Aufl. beruhende russischsprachige Londoner Ausgabe von 1988 gesucht.[2] 1998 erschien ein entsprechendes Lexikon, das von N. Skatov im Sankt-Petersburger Puschkinhaus redigiert worden war[3] und 2000 das hier besprochene, das der als Herausgeber eines Literaturlexikons für die Epoche 1800 - 1917[4] bekannte Petr Alekseevic Nikolaev in Moskau initiiert und betreut hat. Beide sind Personenlexika, die Sowjetschriftsteller, Emigranten und unterdrückte Schriftsteller einbeziehen. In beiden ist die Zahl der Schriftsteller kleiner als bei mir, in beiden, abgesehen von den berühmten Autoren, die Auswahl anders und der dem einzelnen Autor zugemessene Umfang erheblich größer. Von Skatov wurden 580 Schriftsteller einbezogen, von Nikolaev 579 (von mir 1992 747). Sachartikel enthalten beide Lexika im Unterschied zu meinem (110) nicht.

Gegenüber dem Sankt-Petersburger Lexikon ist das hier besprochene neue Moskauer sowohl im Bestand der Aufgenommen als auch in der politischen Beurteilung ausgewogener. Der Anteil an jüngeren und älteren Schriftstellern, auch an Schriftstellerinnen, die vor 1992 noch nicht aufgefallen waren, ist bei Nikolaev erheblich größer. 112 sind in meinem Lexikon nicht enthalten, das aber über 290 Schriftsteller informiert, die er nicht einbezogen hat. Der aktuelle russische Nationalismus bedingte u.a. den Ausschluß einiger Schriftsteller nichtrussischer Herkunft wie C. Ajtmatov und G. Ajgi, obwohl sie durch ihre russisch geschriebenen Werke international als Teil der russischen Literatur bekannt wurden. Bei Skatov finden sich etliche drittklassige Autoren, die wohl auf Drängen der Verfasser um des Honorars willen aufgenommen wurden, nicht weil ein Nachschlagebedürfnis besteht, bei Nikolaev rufen Ausnahmen wie Fat'janov diesen Eindruck selten hervor. Zurückhaltend sind die Herausgeber noch immer gegenüber der Emigration. Es fehlen im neuen Lexikon viele wichtige, z.B. O. Anstej und L. Alekseeva, die 1998 mit V. Sinkevic in einer Anthologie dieser drei Lyrikerinnen in der Heimat vorgestellt worden waren.[5] Es fehlt Boris Chazanov, dessen Werke seit Jahren in Rußland erscheinen und der in Deutschland 1998 als bisher einziger Russe den Preis "Literatur im Exil" erhalten hat.

Herausgeber von Lexika ziehen als Mitarbeiter gern Spezialisten heran. Dem verdanken wir in beiden Lexika gute Artikel. Allerdings hat auch Nikolaev gelegentlich Autoren von Monographien der Sowjetzeit gewählt, deren ideologische Enge unverändert blieb. Vitalij M. Ozerov hätte nicht über Fadeev und Furmanov schreiben sollen. Umso besser war die Entscheidung, Ol'ga Kuslina mit dem Artikel über Kocetov zu beauftragen.

Die Artikel in Nikolaevs Lexikon integrieren die Werkanalysen in den Lebenslauf. Die Titel sind durch Fettdruck hervorgehoben. Selten finden sich hilfreiche Kurzcharakteristiken der Autoren, selten wird gewertet, aber häufig werden Urteile der Sekundärliteratur zitiert (mit bibliographischer Angabe). In der Sowjetzeit wurden unterdrückte Werke vieler bedeutender Autoren von einigen russischen Emigranten und Slavisten im Westen herausgegeben, um das wahre Bild der russischen Literatur zu erhalten. Solche Leistungen werden nicht konsequent erwähnt. Zwar wird bei Lidija Cukovskaja auf die Erstveröffentlichungen im Westen und auf die Monographie von Annette Julius verwiesen, bei Anna Achmatovas Rekviem aber der Erstdruck mit 1987 angegeben und die tatsächliche Erstveröffentlichung dieses in seiner Bedeutung sofort erkannten Zyklus 1963 in München und Frankfurt a.M. 1964 verschwiegen. N. Erdmans Drama Mandat von 1925 erschien erstmals in München 1976, um es endlich den Forschern bekanntzumachen, aber im Lexikon wird das ebensowenig erwähnt wie fünf Bände mit frühen Texten von M. Bulgakov (München 1976 - 1983), auf denen deren Erstausgabe (Morfij 1991) in Moskau aufbaute.

Dem Grad der Zuverlässigkeit des Verfassers entsprechen die bibliographischen Angaben. Oft sind sie lohnend. Allerdings stehen sie teils in einer Bibliographie, teils im Text. Hinweise auf westliche Sekundärliteratur sind spärlich. Ein Namenregister hätte das Lexikon bereichert. Im Vergleich mit dem weitgehend gleichzeitig entstandenen Sankt-Petersburger Vorläufer ist Nikolaevs Lexikon schon wegen des etwas anderen Bestandes, aber auch wegen der überwiegend anderen Verfasser der Artikel zu empfehlen. Die Schatten der politischen Vergangenheit trüben hier nur einen kleinen Teil, insgesamt ist es ein gutes, die bestehenden Lexika wesentlich ergänzendes Werk.

Wolfgang Kasack


[1]
Leksikon russkoj literatury XX veka / Vol'fgang Kazak. - Moskva : RIK Kul'tura 1996. - 491 S. - Einheitssacht.: Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts <russ.>. - Übersetzung ins Russische: Marija Zorkaja (Redaktion), Elena Vargaftik und Igor Burichin. - Zur deutschen Ausgabe und ihrem Supplement vgl. ABUN in ZfBB 39 (1992),6, S. 542 - 543 und zuletzt IFB 00-1/4-212. (zurück)
[2]
Enciklopediceskij slovar' russkoj literatury s 1917 goda / Vol'fgang Kazak. - London : Overseas Publications Interchange, 1988. - 922 S. - Einheitssacht.: Lexikon der russischen Literatur ab 1917 <russ.>. Die russische Übersetzung wurde von Elena Vargaftik und Igor Burichin vorgenommen. (zurück)
[3]
Russkie pisateli : XX vek ; biobibliograficeskij slovar' ; v 2 c. / pod red. N. N. Skatova. - Moskva : Prosvescenie, 1998. - C. 1 - 2. - 22 cm. - ISBN 5-09-006994-8 : DM 120.00 (Kubon & Sagner, München) [5264]. - Rez.: IFB 99-B09-738. (zurück)
[4]
Russkie pisateli 1800 - 1917 : biograficeskij slovar' / glavnyj red. P. A. Nikolaev. - Moskva : Naucnoe Izdat. "Rossijskaja Enciklopedija". - 27 cm. - (Russkie pisateli 11 - 20 vv.). - ISBN 5-85270-011-8. - (Kubon & Sagner, München) [1061]. - 1 (1989) - . - Zuletzt: 4. M - P. - 1999. - 703 S. : Ill. - ISBN 3-85270-256-0 : DM 65.00 (Kubon & Sagner). - Rez.: IFB 00-1/4-211. (zurück)
[5]
Poetessy russkogo zarubez'ja : L. Alekseeva ; O. Anstej ; V. Sinkevic / [Sost.: V. V. Agenosov ...]. - Moskva : Sovetskij Sport, 1998. - 433 S. ; 17 cm. - ISBN 5-85009-513-6 [5650]. - Rez.: IFB 99-1/4-217. (zurück)

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