Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 1
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Stefan-George-Bibliographie 1976 - 1997


01-1-053
Stefan-George-Bibliographie 1976 - 1997 : mit Nachträgen bis 1976 ; auf der Grundlage der Bestände des Stefan-George-Archivs in der Württembergischen Landesbibliothek / bearb. von Lore Frank und Sabine Ribbeck. Hrsg. von der Stefan-George-Stiftung. - Tübingen : Niemeyer, 2000. - XI, 358 S. ; 25 cm. - ISBN 3-484-10823-1 : DM 128.00
[6156]

Die neue Stefan-George-Bibliographie schließt mit ihrer Berichtszeit 1976/97 an die von dem Basler Klassischen Philologen und George-Forscher Georg Peter Landmann (1905 - 1994) 1960 veröffentlichte erste umfassende Bibliographie zu Stefan George und seinem Kreis an.[1] Landmann legte 1976 eine Neuauasgabe vor,[2] die mit verändertert Zählung der Einträge die alte Ausgabe ersetzte. Landmann, der George noch persönlich gekannt und erlebt hatte,[3] äußerte sich in Vorworten 1960 und 1976 zu seiner bibliographischen Arbeit. Eine Bibliographie, die Stefan Georges Werk und seine Wirkung von den Anfängen an nachzeichnen solle, könne ihrer Aufgabe durch eine chronologische Anordnung am besten gerecht werden. So werde erkennbar, "wie hier das Werk eines Einzelnen erst im Geheimen, dann im Bund mit Freunden wuchs und sich wandelte, wer wann dazutrat, mitging oder auch sich wieder abwandte, welche Menschen zu welcher Zeit dankten, grüßten, verstanden oder mißverstanden und bekämpften" (1960, S. 6). Der Nachteil einer solchen Darstellungsform liegt auf der Hand: Wer einem einzelnen Autor nachgeht, muß sich mit Hilfe des Registers die Titel zusammensuchen. Die 16 Jahre später veröffentlichte zweite Auflage von Landmanns Bibliographie, die 750 Neuerscheinungen enthielt und 500 neu gefundene Titel in den alten Bestand einfügte, behielt die chronologische Anordnung bei. Mit zunehmender zeitlicher Distanz zu Georges Tod, nach dem Tod auch Vieler aus seinem Kreis zeige sich aber, so der Bearbeiter, der allmähliche Übergang von lebendiger Produktion zu historischer Behandlung. Querverweise und Übersichten sollten Zusammengehöriges besser erschließen helfen.

Die Bezugnahme auf Landmann mag die Voraussetzungen deutlicher erkennen lassen, unter denen Lore Frank und Sabine Ribbeck ihr Arbeitspensum zu bewältigen hatten. Ihre Bibliographie übernimmt die Grundstruktur des Vorgängers: Auf Georges Werke folgt, in chronologischer Reihenfolge, die Literatur über ihn. Anders als Landmann allerdings verzichten die Bearbeiter auf die Einbeziehung des George-Kreises (von ihm und über ihn verfaßte Literatur), es sei denn, die Texte "beziehen sich auf George". Diese Beschränkung, die aufgrund der Materialfülle verständlich ist, läßt sich nicht ganz in Einklang zu bringen mit den "modifizierten Richtlinien" für die Behandlung von Nachträgen. Hier finden "nicht nur die für Georges Leben und die Deutung seines Werkes aussagekräftigen, sondern auch die als Zeugnisse einer Wirkungsgeschichte interessierenden, im Druck erschienenen Dokumente" Berücksichtigung (beide Zitate S. V).

Im einzelnen ergibt sich an Inhalt: I. Werke. Briefe. Stiftungsdrucke (Bibliographien; Drucke der Stefan-George-Stiftung; Gesamtausgaben der Werke; Einzelausgaben; George als Herausgeber; Briefwechsel; Anthologien) [S.1 - 32] - II. Literatur (Nachträge bis 1976; Literatur ab 1976) [S. 33 - 320] - III. Verzeichnis der Zeitschriften und Jahrbücher [S. 321 - 332] - IV. Verfasserregister [S. 333 - 358].

Bei der Erfassung der Primärliteratur in Kapitel I tritt an die Stelle von Landmanns reiner Chronologie eine Systematik, die künftige George-Bibliographien bei möglichen geringfügigen Abänderungen übernehmen werden. Auf die detaillierten Angaben und Beschreibungen bei Landmann wird mit der Sigle L verwiesen. Verzichtet haben die Bearbeiter auf die Erfassung der verstreut publizierten Einzelbriefe (S. V), eine angesichts der Forschungslage richtige Entscheidung. Ein im Stefan-George-Archiv vorliegendes elektronisches Regestverzeichnis, welches die im Original oder in Kopie vorliegenden Briefe von und an Stefan George enthält, versteht sich als Ergänzung der Bibliographie. Ebenfalls ausgeklammert bleiben leier Übersetzungen von Georges Werken, die Landmann noch berücksichtigt hatte (1976, S. 421).

Die Nachträge setzen im Jahr 1896 ein und umfassen die Nr. 191 - 1959. Sie machen somit knapp die Hälfte des Bandes aus. Bei Landmann nachgewiesene Titel werden - mit der Sigle La - dann neu aufgeführt, wenn eine oder mehrere Besprechungen des Titels zusätzlich eruiert werden konnten (Nr. 194, 196, 213, 219, 220, 221, 224, 245 usw.). Da Landmann den Rezensionen eher zufälliges Augenmerk geschenkt hatte, ist die Zahl der Nachträge hier vergleichsweise hoch: Allein von 1896 bis 1933 (Nr. 191 - 879) ergeben sich in den Nachträgen 79 Bezugnahmen auf Landmanns Bibliographie.[4] Die Besprechungen werden in einer Nebenzählung geführt (Nr. 220.1, 220.2 usw.).

Die meisten Nachträge sind Zeitungsartikel. Für das Jahr 1928, in welches der 60. Geburtstag des Dichters fällt, sind 64 Artikel verzeichnet. Schon Landmann hatte zum 60. Geburtstag 58 Zeugnisse der Presse aufgeführt und hinzugefügt, die von ihm gegebene Liste sei "längst nicht vollständig" (1976, S. 139). Die Nachträge zum Jahr 1934 - George war im Dezember 1933 verstorben - sowie zum 100. Geburtstag 1968 dokumentieren in einer Vielzahl von Zeitungsartikeln den außerordentlichen Einfluß, den George und sein Kreis auf das geistige Leben des 20. Jahrhunderts in Deutschland, zum Teil darüber hinaus ausgeübt hat. Wenn derselbe Artikel in unterschiedlichen Zeitungen publiziert wurde, führt dies zu mehreren Einträgen, die aufeinander verweisen (z. B. 1494/1495, 1509/1510, 1534/1535, 1600.2/1600.3 usw.). Häufig bleiben die Verfasser von Artikeln ungenannt (Nr. 1606, 1608, 1610 - 1614, 1617 - 1620, 1626 - 1627, 1631 - 1634 u.ö.) oder ließen sich ihre Kürzel nicht auflösen (Nr. 1624.13, 1624.14, 1624.15, 1624.17, 1624.18, 1643, 1648, 1653 etc.). Für einige Artikel, die gleichzeitig an verschiedenen Orten erschienen, sind redaktionelle Änderungen oder Kürzungen vermerkt (z.B. Nr. 1716 - 1717, 1718 - 1721).

Das Streben nach bibliographischer Genauigkeit veranschaulicht auf andere Weise die Berücksichtigung von Monographien, in denen mehr oder weniger häufig auf Stefan George Bezug genommen wird. Solche Literatur, deren Titel in der Regel keinen Hinweis auf George enthält, hat den Vermerk "Stefan George passim" (Nr. 1897, 1911, 1923, 1926, 1930, 1940, 1941, 1942, 1944 usw.) oder genaue Seitenangaben (Nr. 1803, 1828, 1832, 1846, 1873, 1875, 1898, 1908, 1936 etc.). Bei den betreffenden Werken handelt es sind um Briefwechsel, Biographien, Literaturgeschichten, Werke zur Geistesgeschichte und anderes.

Das zu den Nachträgen Gesagte läßt sich mutatis mutandis auf die Literatur ab 1976 übertragen. In diesem späteren Zeitraum nimmt die Zahl der Buchveröffentlichungen, die zunächst Dissertationen waren, deutlich zu. Sie haben einen entsprechenden Hinweis (Nr. 2003, 2016, 2022, 2163, 2181, 2254). Besonderes Augenmerk beansprucht die schwierige Frage von Nachdrucken einzelner Aufsätze oder Bücher sowie von Übersetzungen aus dem und ins Deutsche. So nennen die Herausgeber unter Nr. 1761 Heideggers Interpretation des Gedichts Das wort im Rahmen der Gesamtausgabe und verweisen auf Landmann Nr. 2026 (Erstausgabe von Unterwegs zur Sprache, Pfullingen, 1959), versäumen allerdings den Querverweis zur italienischen Übersetzung (Nr. 2289). Aufgrund fehlender Angaben bleibt unklar, ob der Ausstellungskatalog Stefan George und Holland (Nr. 2671) eine Übersetzung des holländischen Kataloges Stefan George en Nederland (Nr. 2488) ist.

Bei Seitenangaben zu bestimmten Monographien nennen die Bearbeiter zur Orientierung des Lesers gelegentlich auch die Kapitelüberschriften (Nr. 2120, 2122, 2125, 2163, 2165, 2235, 2238, 2246 u.s.w.). Für die kritische Ausgabe der Korrespondenz von Mallarmé in elf Bänden, die über einen längeren Zeitraum erschienen sind, finden sich Querverweise. Die George-Gedichte der Frankfurter Anthologie sind sämtlich verzeichnet, und zwar mit dem Ersterscheinen in der Frankfurter Allgemeinen und dem späteren Erscheinen in Buchform.[5]

So reich der bibliographische Ertrag des Werkes ist, so problematisch ist seine Benutzbarkeit. Der Namensindex, neben der Chronologie die einzige Orientierungshilfe, differenziert nicht zwischen originärem Beitrag und erneutem Abdruck. Die Nr. 1981 - 1982 besipielsweise verzeichnen denselben Artikel von Werner Helwig, der in zwei verschiedenen Zeitungen erschienen ist, die Nr. 1978 - 1979 dagegen zwei verschiedene Aufsätze von Rainer Grünter. Aus dem Namenregister geht dieser Unterschied nicht hervor. Landmann hatte in seinem Namensverzeichnis 1976 durch Fettdruck und Klammersetzung hilfreiche inhaltliche Differenzierungen vorgenommen. Das fehlende Sachregister ist ein zweites Handikap. Literatur etwa zu George als Shakespeare-Übersetzer (vgl. Nr. 3110) läßt sich nur mit hohem Aufwand finden.

Zu Benns Briefwechsel mit F. W. Oelze (Nr. 2032) sind Bezüge auf George "passim" vermerkt. Schlägt man im Briefwechsel nach, finden sich über das Namenregisterer sechs Hinweise auf George, in der Mehrzahl bloße Erwähnungen. Das Beispiel Benns zeigt stellvertretend, daß in einer künftigen Bibliographie inhaltliche Informationen unerläßlich sind. Das heißt allerdings, daß die gesamte George-Rezeption inhaltlich aufzuarbeiten ist. Der Übergang von lebendiger Produktion zu historischer Behandlung, von dem Landmann im Vorwort 1976 sprach, ist jetzt, ein Vierteljahrhundert später, wohl abgeschlossen. An die Stelle einer chronologischen Ordnung muß daher eine systematische treten. Gedichtinterpretationen sind etwas anderes als biographische Schilderungen und sie etwas anderes als Fragen der Rezeption. Die systematische Aufarbeitung wird in einem Sachindex ihr natürliches Pendant finden.

Die fortzuschreibende Bibliographie zu Stefan George steht somit vor einer Zäsur. Die notwendige Neuorientierung zu vollziehen dürfte Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Sie ist aber von zentraler Bedeutung, um das Werk des Dichters lebendig zu erhalten. Der Stefan-George-Stifung, der hier besondere Verantwortung zukommt, mag man langfristig den Glücksfall wünschen, den für die Dante-Forschung das bibliographische Werk von Enzo Esposito bedeutet. Esposito, der 1990 eine vierbändige 'analytische' Bibliographie über das Schrifttum zu Dante veröffentlicht hat, betont die 'tiefgreifende Interaktion zwischen Bibliographie und Wissen im allgemeinen, zwischen Bibliographie und literaturgeschichtlicher Forschung im besonderen': 'Eine klug angelegte Bibliographie, die ein weites Blickfeld eröffnet und ihre Auswahl ernsthaft begründet, kann zu neuen und fruchtbaren Forschungsrichtungen anregen. Eine wenig durchdachte Bibliographie dagegen, die in ihren Voraussetzungen gedankenlos ist, kann irreleiten, Verwirrung stiften und der Forschung schaden und sie wird mit Sicherheit ohne jeden Nutzen sein.'[6] Die Verantwortung, die der Bibliograph einerseits der Sache und andererseits dem Benutzer schuldet, erfordert neben größtmöglicher Genauigkeit und Aufrichtigkeit Sachkenntnis, Leseerfahrung, Zähigkeit und wohl auch die Eigenschaft, die mit einem Paradox wissenschaftliche Demut zu nennen ist.

Den Bearbeitern der vorliegenden Bibliographie ist großes Lob zu zollen. Wenige Jahre nach dem Tod von Wolfgang Frommel und Georg Peter Landmann, den letzten Zeitzeugen, die George noch erlebten, haben sie eine unüberschaubare Fülle von Dokumenten zum Werk Stefan Georges und seines Kreises über die Chronologie und die Namen der Verfasser zugänglich gemacht und das bibliographische Werk Landmanns wesentlich ergänzt. Das Pensum war gewaltig. Die zahllosen Verweisungen unterschiedlicher Art, die durch den kleinen Satz Unauffälligkeit beanspruchen, sind für spätere Bibliographien eine wertvolle Vorarbeit. Die außerordentliche Bedeutung Stefan Georges für die geistige Physiognomie Deutschlands im 20. Jahrhundert deutlich werden zu lassen wäre Aufgabe eines großen bibliographischen Projektes, das die umfassende Literatur zu dem Dichter und seinem Kreis sichtet, systematisiert und analysiert.

Thomas Brückner


[1]
Stefan George und sein Kreis : eine Bibliographie / Georg Peter Landmann. - Hamburg : Hauswedell, 1960. - 314 S. : Ill. (zurück)
[2]
Stefan George und sein Kreis : eine Bibliographie / Georg Peter Landmann. Mit der Hilfe von Gunhild Guenther erg. und nachgef. - 2. Aufl. - Hamburg : Hauswedell, 1976. - 452 S. : Ill. : ISBN 3-7762-0139-8 : DM 180.00. (zurück)
[3]
Vgl. Hans Peter Geh im Vorwort zu: Gedenken an Georg Peter Landmann : [zum 90. Geburtstag] / [verantwortet und hrsg. von der Stefan-George-Stiftung Stuttgart]. - Privatdruck. - Stuttgart, [1995], S. 3 - 5 sowie Vorträge über Stefan George : eine biographische Einführung in sein Werk / Georg Peter Landmann. - Düsseldorf : Küpper, 1974. - 231 S. (zurück)
[4]
"Allerdings bei Rezensionen und Literaturgeschichten beschränkte ich mich willkürlich auf das, was ich vorfand oder zitiert sah" (1960, S. 7). (zurück)
[5] R. Grünter (Ersterscheinen 1976), K. Korn (1977), W. Leppmann (1978 und 1989), G. Blöcker (1979), G. Schulz (1980), D. Jost (1981), W. Rasch (1982), W. Hildesheimer (1983), A. v. Schirnding (1990), J. Kaiser (1991), H. Wysling (1993), E. Heftrich (1995), H. Ch. Kosler (1996). (zurück)
[6]
E. Esposito, Bibliografia e critica, in: Dalla bibliografia alla storiografia. La critica dantesca nel mondo dal 1965 als 1990. A cura di E. Esposito. Ravenna 1995, S. 15. (zurück)

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