Die Bezugnahme auf Landmann mag die Voraussetzungen deutlicher erkennen lassen, unter denen Lore Frank und Sabine Ribbeck ihr Arbeitspensum zu bewältigen hatten. Ihre Bibliographie übernimmt die Grundstruktur des Vorgängers: Auf Georges Werke folgt, in chronologischer Reihenfolge, die Literatur über ihn. Anders als Landmann allerdings verzichten die Bearbeiter auf die Einbeziehung des George-Kreises (von ihm und über ihn verfaßte Literatur), es sei denn, die Texte "beziehen sich auf George". Diese Beschränkung, die aufgrund der Materialfülle verständlich ist, läßt sich nicht ganz in Einklang zu bringen mit den "modifizierten Richtlinien" für die Behandlung von Nachträgen. Hier finden "nicht nur die für Georges Leben und die Deutung seines Werkes aussagekräftigen, sondern auch die als Zeugnisse einer Wirkungsgeschichte interessierenden, im Druck erschienenen Dokumente" Berücksichtigung (beide Zitate S. V).
Im einzelnen ergibt sich an Inhalt: I. Werke. Briefe. Stiftungsdrucke (Bibliographien; Drucke der Stefan-George-Stiftung; Gesamtausgaben der Werke; Einzelausgaben; George als Herausgeber; Briefwechsel; Anthologien) [S.1 - 32] - II. Literatur (Nachträge bis 1976; Literatur ab 1976) [S. 33 - 320] - III. Verzeichnis der Zeitschriften und Jahrbücher [S. 321 - 332] - IV. Verfasserregister [S. 333 - 358].
Bei der Erfassung der Primärliteratur in Kapitel I tritt an die Stelle von Landmanns reiner Chronologie eine Systematik, die künftige George-Bibliographien bei möglichen geringfügigen Abänderungen übernehmen werden. Auf die detaillierten Angaben und Beschreibungen bei Landmann wird mit der Sigle L verwiesen. Verzichtet haben die Bearbeiter auf die Erfassung der verstreut publizierten Einzelbriefe (S. V), eine angesichts der Forschungslage richtige Entscheidung. Ein im Stefan-George-Archiv vorliegendes elektronisches Regestverzeichnis, welches die im Original oder in Kopie vorliegenden Briefe von und an Stefan George enthält, versteht sich als Ergänzung der Bibliographie. Ebenfalls ausgeklammert bleiben leier Übersetzungen von Georges Werken, die Landmann noch berücksichtigt hatte (1976, S. 421).
Die Nachträge setzen im Jahr 1896 ein und umfassen die Nr. 191 - 1959.
Sie machen somit knapp die Hälfte des Bandes aus. Bei Landmann
nachgewiesene Titel werden - mit der Sigle La - dann neu aufgeführt,
wenn eine oder mehrere Besprechungen des Titels zusätzlich eruiert
werden konnten (Nr. 194, 196, 213, 219, 220, 221, 224, 245 usw.). Da
Landmann den Rezensionen eher zufälliges Augenmerk geschenkt hatte,
ist die Zahl der Nachträge hier vergleichsweise hoch: Allein von 1896
bis 1933 (Nr. 191 - 879) ergeben sich in den Nachträgen 79 Bezugnahmen
auf Landmanns Bibliographie.[4] Die Besprechungen werden in einer
Nebenzählung geführt (Nr. 220.1, 220.2 usw.).
Die meisten Nachträge sind Zeitungsartikel. Für das Jahr 1928, in
welches der 60. Geburtstag des Dichters fällt, sind 64 Artikel
verzeichnet. Schon Landmann hatte zum 60. Geburtstag 58 Zeugnisse der
Presse aufgeführt und hinzugefügt, die von ihm gegebene Liste sei
"längst nicht vollständig" (1976, S. 139). Die Nachträge zum Jahr 1934
- George war im Dezember 1933 verstorben - sowie zum 100. Geburtstag
1968 dokumentieren in einer Vielzahl von Zeitungsartikeln den
außerordentlichen Einfluß, den George und sein Kreis auf das geistige
Leben des 20. Jahrhunderts in Deutschland, zum Teil darüber hinaus
ausgeübt hat. Wenn derselbe Artikel in unterschiedlichen Zeitungen
publiziert wurde, führt dies zu mehreren Einträgen, die aufeinander
verweisen (z. B. 1494/1495, 1509/1510, 1534/1535, 1600.2/1600.3 usw.).
Häufig bleiben die Verfasser von Artikeln ungenannt (Nr. 1606, 1608,
1610 - 1614, 1617 - 1620, 1626 - 1627, 1631 - 1634 u.ö.) oder ließen
sich ihre Kürzel nicht auflösen (Nr. 1624.13, 1624.14, 1624.15,
1624.17, 1624.18, 1643, 1648, 1653 etc.). Für einige Artikel, die
gleichzeitig an verschiedenen Orten erschienen, sind redaktionelle
Änderungen oder Kürzungen vermerkt (z.B. Nr. 1716 - 1717, 1718 -
1721).
Das Streben nach bibliographischer Genauigkeit veranschaulicht auf
andere Weise die Berücksichtigung von Monographien, in denen mehr oder
weniger häufig auf Stefan George Bezug genommen wird. Solche
Literatur, deren Titel in der Regel keinen Hinweis auf George enthält,
hat den Vermerk "Stefan George passim" (Nr. 1897, 1911, 1923, 1926,
1930, 1940, 1941, 1942, 1944 usw.) oder genaue Seitenangaben (Nr.
1803, 1828, 1832, 1846, 1873, 1875, 1898, 1908, 1936 etc.). Bei den
betreffenden Werken handelt es sind um Briefwechsel, Biographien,
Literaturgeschichten, Werke zur Geistesgeschichte und anderes.
Das zu den Nachträgen Gesagte läßt sich mutatis mutandis auf die
Literatur ab 1976 übertragen. In diesem späteren Zeitraum nimmt die
Zahl der Buchveröffentlichungen, die zunächst Dissertationen waren,
deutlich zu. Sie haben einen entsprechenden Hinweis (Nr. 2003, 2016,
2022, 2163, 2181, 2254). Besonderes Augenmerk beansprucht die
schwierige Frage von Nachdrucken einzelner Aufsätze oder Bücher sowie
von Übersetzungen aus dem und ins Deutsche. So nennen die Herausgeber
unter Nr. 1761 Heideggers Interpretation des Gedichts Das wort im
Rahmen der Gesamtausgabe und verweisen auf Landmann Nr. 2026
(Erstausgabe von Unterwegs zur Sprache, Pfullingen, 1959), versäumen
allerdings den Querverweis zur italienischen Übersetzung (Nr. 2289).
Aufgrund fehlender Angaben bleibt unklar, ob der Ausstellungskatalog
Stefan George und Holland (Nr. 2671) eine Übersetzung des
holländischen Kataloges Stefan George en Nederland (Nr. 2488) ist.
Bei Seitenangaben zu bestimmten Monographien nennen die Bearbeiter zur
Orientierung des Lesers gelegentlich auch die Kapitelüberschriften
(Nr. 2120, 2122, 2125, 2163, 2165, 2235, 2238, 2246 u.s.w.). Für die
kritische Ausgabe der Korrespondenz von Mallarmé in elf Bänden, die
über einen längeren Zeitraum erschienen sind, finden sich
Querverweise. Die George-Gedichte der Frankfurter Anthologie sind
sämtlich verzeichnet, und zwar mit dem Ersterscheinen in der
Frankfurter Allgemeinen und dem späteren Erscheinen in Buchform.[5]
So reich der bibliographische Ertrag des Werkes ist, so problematisch
ist seine Benutzbarkeit. Der Namensindex, neben der Chronologie die
einzige Orientierungshilfe, differenziert nicht zwischen originärem
Beitrag und erneutem Abdruck. Die Nr. 1981 - 1982 besipielsweise
verzeichnen denselben Artikel von Werner Helwig, der in zwei
verschiedenen Zeitungen erschienen ist, die Nr. 1978 - 1979 dagegen
zwei verschiedene Aufsätze von Rainer Grünter. Aus dem Namenregister
geht dieser Unterschied nicht hervor. Landmann hatte in seinem
Namensverzeichnis 1976 durch Fettdruck und Klammersetzung hilfreiche
inhaltliche Differenzierungen vorgenommen. Das fehlende Sachregister
ist ein zweites Handikap. Literatur etwa zu George als
Shakespeare-Übersetzer (vgl. Nr. 3110) läßt sich nur mit hohem Aufwand
finden.
Zu Benns Briefwechsel mit F. W. Oelze (Nr. 2032) sind Bezüge auf
George "passim" vermerkt. Schlägt man im Briefwechsel nach, finden
sich über das Namenregisterer sechs Hinweise auf George, in der
Mehrzahl bloße Erwähnungen. Das Beispiel Benns zeigt stellvertretend,
daß in einer künftigen Bibliographie inhaltliche Informationen
unerläßlich sind. Das heißt allerdings, daß die gesamte
George-Rezeption inhaltlich aufzuarbeiten ist. Der Übergang von
lebendiger Produktion zu historischer Behandlung, von dem Landmann im
Vorwort 1976 sprach, ist jetzt, ein Vierteljahrhundert später, wohl
abgeschlossen. An die Stelle einer chronologischen Ordnung muß daher
eine systematische treten. Gedichtinterpretationen sind etwas anderes
als biographische Schilderungen und sie etwas anderes als Fragen der
Rezeption. Die systematische Aufarbeitung wird in einem Sachindex ihr
natürliches Pendant finden.
Die fortzuschreibende Bibliographie zu Stefan George steht somit vor
einer Zäsur. Die notwendige Neuorientierung zu vollziehen dürfte
Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Sie ist aber von zentraler Bedeutung,
um das Werk des Dichters lebendig zu erhalten. Der
Stefan-George-Stifung, der hier besondere Verantwortung zukommt, mag
man langfristig den Glücksfall wünschen, den für die Dante-Forschung
das bibliographische Werk von Enzo Esposito bedeutet. Esposito, der
1990 eine vierbändige 'analytische' Bibliographie über das Schrifttum
zu Dante veröffentlicht hat, betont die 'tiefgreifende Interaktion
zwischen Bibliographie und Wissen im allgemeinen, zwischen
Bibliographie und literaturgeschichtlicher Forschung im besonderen':
'Eine klug angelegte Bibliographie, die ein weites Blickfeld eröffnet
und ihre Auswahl ernsthaft begründet, kann zu neuen und fruchtbaren
Forschungsrichtungen anregen. Eine wenig durchdachte Bibliographie
dagegen, die in ihren Voraussetzungen gedankenlos ist, kann
irreleiten, Verwirrung stiften und der Forschung schaden und sie wird
mit Sicherheit ohne jeden Nutzen sein.'[6] Die Verantwortung, die der
Bibliograph einerseits der Sache und andererseits dem Benutzer
schuldet, erfordert neben größtmöglicher Genauigkeit und
Aufrichtigkeit Sachkenntnis, Leseerfahrung, Zähigkeit und wohl auch
die Eigenschaft, die mit einem Paradox wissenschaftliche Demut zu
nennen ist.
Den Bearbeitern der vorliegenden Bibliographie ist großes Lob zu
zollen. Wenige Jahre nach dem Tod von Wolfgang Frommel und Georg Peter
Landmann, den letzten Zeitzeugen, die George noch erlebten, haben sie
eine unüberschaubare Fülle von Dokumenten zum Werk Stefan Georges und
seines Kreises über die Chronologie und die Namen der Verfasser
zugänglich gemacht und das bibliographische Werk Landmanns wesentlich
ergänzt. Das Pensum war gewaltig. Die zahllosen Verweisungen
unterschiedlicher Art, die durch den kleinen Satz Unauffälligkeit
beanspruchen, sind für spätere Bibliographien eine wertvolle
Vorarbeit. Die außerordentliche Bedeutung Stefan Georges für die
geistige Physiognomie Deutschlands im 20. Jahrhundert deutlich werden
zu lassen wäre Aufgabe eines großen bibliographischen Projektes, das
die umfassende Literatur zu dem Dichter und seinem Kreis sichtet,
systematisiert und analysiert.
Thomas Brückner
Zurück an den Bildanfang