Was das
hier anzuzeigende Lexikon, dem eine vorzügliche, rund 60 Seiten
umfassende Einführung in die Thematik voransteht, von den genannten
Werken grundsätzlich unterscheidet, ist die Tatsache, daß der Blick
auf die gesamte Literatur der Zeit der NS-Diktatur gerichtet ist, so
daß die Gleichzeitigkeit des Ungleichen in den rund 110 Artikeln zu
einzelnen Autoren sichtbar wird: Stefan Andres, Gertrud von Le Fort
und Mechthilde von Lichnowsky hier, Werner Beumelburg, Agnes Miegel
und Heinz Steguweit dort, und dazu die vielen nicht ganz entschiedenen
und nicht ein- für allemal der einen oder der anderen Seite
zuzurechnenden Autoren, soweit sie während der NS-Zeit im Lande
geblieben waren. Es sind also die Autoren der Inneren Emigration und
die nationalsozialistischen vereinigt, dazu die "schwankenden
Gestalten". So ergibt sich in der Tat ein weit getreueres Abbild der
Zeit, als dies bei der üblichen Beschränkung von Darstellungen und
Nachschlagewerken auf nur eine der beiden Seiten möglich ist. Neben
den opportunistischen Parteigängern der Nationalsozialisten gab es sie
tatsächlich, die Schriftsteller, "die zum Teil unter schwierigsten
Bedingungen weitergeschrieben hatten. Werner Bergengruen, Ricarda
Huch, Elisabeth Langgässer, Oskar Loerke und Erich Kästner sind nur
einige von ihnen. Und daneben gab es die Debütanten, die nach 1933 die
literarische Bühne betraten oder zu Erfolgen gelangten. Dazu gehört
haben Alfred Andersch, Wolfgang Borchert, Günter Eich, Peter Huchel,
Marie Luise Kaschnitz, Wolfgang Koeppen, Karl Krolow, Luise Rinser
oder Wolfgang Weyrauch, auch Max Frisch, der 1934 seinen ersten Roman
nicht in der Schweiz, sondern in Deutschland veröffentlichte. Sie alle
sind mit ihren Werken, ob sie es wollten oder nicht, Teil der
Literatur in Nazi-Deutschland" (S. 6). Die umfangreiche Einleitung,
die den biobibliographischen Artikeln voransteht, ist eine veritable
Studie zur vielfach gebrochenen deutschen Literatur in der
Berichtszeit. Zu Recht betonen die Autoren, daß die chaotische
Zersplitterung der Kompetenzen auf verschiedene Einrichtungen der
Literaturkontrolle für die Schriftsteller nur in Einzelfällen von
Vorteil gewesen ist, im allgemeinen jedoch eine verstärkte
Unterdrückung bedeutete; denn was eine Institution übersehen hatte
oder übersehen wollte, das entging in der Regel nicht der Observation
durch eine andere.
Abgesehen davon, daß in den Bibliographien die Namen der Herausgeber
von Primärtexten und (Brief-)Editionen nicht genannt werden, sind sie
in Auswahl und Genauigkeit im allgemeinen zuverlässig.[3] Durchweg sind
die Artikel für ihren Umfang von nur wenigen Seiten ungewöhnlich reich
an Details, nicht wahllos angehäuften, sondern sorgfältig
recherchierten und gewichteten. Ein Beispiel statt vieler: Im Artikel
zu Stefan Andres findet sich im Kontext der Darstellung von Andres'
verschlüsselter Kritik am Dritten Reich auch ein Hinweis darauf, daß
ein in dem Roman Der Mann von Asteri (Berlin, 1939) enthaltener Exkurs
über das antike Sparta mit deutlich regimekritischen Zügen beim
Vorabdruck des Werks in der Frankfurter Zeitung (1937) fehlt.
Tatsächlich gibt das Lexikon erstmals Auskunft über die Repräsentanten
aller Gruppen, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschrieben
haben, "vom Nazi-Barden bis zum jüdischen Schriftsteller, der seine
bescheidenen Publikationsmöglichkeiten bis 1938 nutzte" (S. 6). Das
Lexikon ist eines der nicht ganz wenigen Beispiele dafür, daß gelehrte
Journalisten der Literaturwissenschaft bereitstellen, was man von der
universitären Zunft lange vergeblich erhofft.[4]
Hans-Albrecht Koch
- [1]
- Literaturlenkung im "Dritten Reich" : eine Bibliographie / Norbert
Hopster ; Petra Josting ; Joachim Neuhaus. - Hildesheim [u.a.] : Olms.
- 24 cm [2120]. - Bd. 1 (1993). - XVIII, 500 S. - ISBN 3-487-09686-2 :
DM 138.00. - Bd. 2. Eine annotierte Bibliographie von Bibliographien.
- 1994. - 316 S. - ISBN 3-487-09878-4 : DM 138.00. - Rez.: IFB
94-3/4-440.
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- [2]
- Lexikon nationalsozialistischer Dichter : Biographien, Analysen,
Bibliographien / Jürgen Hillesheim ; Elisabeth Michael. - Würzburg :
Königshausen & Neumann, 1993. - 490 S. ; 24 cm. - ISBN 3-88479-511-2 :
DM 78.00 [1952]. - Rez.: IFB 94-3/4-436.
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- [3]
- S. 110 ein Druckfehler mit falscher Jahreszahl im Artikel zu Rudolf
Borchardt; mißlicher, daß aus der Werkausgabe des Verlags Klett nur
der Band Reden angeführt wird, dessen dort genannte 2. Aufl. (1998)
identisch mit der ersten ist. - Auch was die Titelauswahl der
Forschungsliteratur angeht, ist die Bibliographie zu Rudolf Borchardt
nicht auf dem neuesten Stand; dasselbe gilt für Stefan Zweig und
einige andere Autoren.
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- [4]
- Vgl. auch die Rez. des Bandes durch den "Zeitzeugen" Iring Fetscher
in: Frankfurter Allgemeine. - 01-01-09, S. 50 : Ill.
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