Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
[ Bestand in K10plus ]

Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte


01-2-260
Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte : von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert / Jürgen Wilke. - Köln [u.a.] : Böhlau, 2000. - VII, 436 S. : graph. Darst. ; 23 cm. - Bibliographie S. 359 - 420. - ISBN 3-412-07300-8 : DM 54.00
[6441]

Ganz unpretentiös präsentiert Wilke seine Einführung in die Medien- und Kommunikationsgeschichte, deren Gegenstand er in kurzen begrifflichen Vorbemerkungen erläutert und eingrenzt. Durchaus konservativ verpflichtet er sich einer technischen Definition von Medien, als "jenen technischen Mitteln, die zur Verbreitung von Aussagen an ein potentiell unbegrenztes Publikum geeignet sind (also Presse, Hörfunk, Film, Fernsehen)" (S. 1). Trotzdem beginnt er seinen Überblick mit einer neunseitigen Vorgeschichte der Massenkommunikation in der Antike und im Mittelalter, bevor er mit dem Zeitpunkt der Erfindung der Drucktechnik - als der notwendigen Voraussetzung für publizistische Medien - in die historische Darstellung einsteigt. Gutenbergs Erfindung erwähnt Wilke nur kursorisch und geht sofort über in die Darstellung ihrer Ausbreitung, der Herausbildung verschiedener Druckmedien im 16. Jahrhundert, ihrer Kontrolle und Verrechtlichung, ihrer Funktionen und Wirkungen. Eigene Kapitel gehören der Entstehung und Ausbreitung der Zeitungen in Deutschland und in anderen Ländern sowie ihrer Erweiterung durch Zeitschriften in Frankreich und Deutschland im 17. Jahrhundert. 70 Seiten umfaßt das Kapitel zum 18. Jahrhundert mit Absätzen zu Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblättern, Rechtsverhältnissen und Pressepolitik, zum Publikum und zur Presse in anderen Ländern sowie abschließend noch einmal zu politischen und gesellschaftlichen Wirkungen der Presse. Das Hauptgewicht legt Wilke auf die Darstellung des 19. Jahrhunderts, das er gemäß der deutschen politischen Geschichte in Abschnitte bis 1819, bis 1848, bis 1871 und bis 1918 unterteilt, um jeweils wieder mit Überblicken über Rechtsverhältnisse und Pressepolitik zu beginnen, danach auf Zeitungen, Zeitschriften und Intelligenzblätter einzugehen und mit Bemerkungen zu politischen und gesellschaftlichen Wirkungen abzuschließen. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert treten noch Abschnitte zum Hilfsgewerbe der Presse (Telegraphenbüros, Korrespondenzen und Annoncen-Expeditionen), zur Professionalisierung des Journalistenberufs und ein Überblick zur Presse in anderen Ländern (Frankreich, England, USA) hinzu. 50 Seiten umfaßt das abschließende Kapitel zur Plurimedialität der Massenkommunikation im frühen 20. Jahrhundert, das sich zunächst dem Visualierungsschub im 19. Jahrhundert und der Entstehung von Film und Kino widmet, danach auf die auditiven Medien (Grammophon und Rundfunk) eingeht und sich schließlich wieder den Pressemedien und ihren politischen und gesellschaftlichen Wirkungen zuwendet. Die Darstellung endet durchweg mit dem Jahr 1932, vor der grundsätzlichen Zäsur durch den Nationalsozialismus in Deutschland und vor dem Ende der von Wilke so genannten Plurimedialität, dem unverbundenen Nebeneinander verschiedener Massenmedien. Im Ausblick betitelten zweiseitigen Abspann wird diese pragmatische Grenzziehung zur Zeitgeschichte, zur Internationalisierung, zum Übergang in ein Mediensystem und zu Multimedia noch einmal kurz aufgenommen und begründet. Etwa 1200 fachlich eng ausgewählte Bücher und Aufsätze umfaßt das Literaturverzeichnis, 600 Einträge das Personenregister, 750 Einträge das Titelregister zur Presse. Ein Schlagwortregister fehlt und macht das Aufspüren bestimmter Entwicklungen über die Zeit mehr als mühselig.

Aber offensichtlich ist das Buch nicht zum Nachschlagen, sondern zum Durchlesen konzipiert und geschrieben worden. Belege, Zahlenkolonnen und Titellisten werden in den Fließtext eingebaut und verschwinden im ruhigen Satzspiegel, der nur gelegentlich durch Tabellen und Schaubilder aufgelockert wird. Ob sich durch "Vorlesen" Zahlenkolonnen und Literaturstellen besser einprägen und merken lassen, mag dahingestellt bleiben, - daß sich solche Übersichten schwerer auffinden lassen, als wenn sie im Druck abgesetzt und im Fließtext i.w. interpretiert worden wären, ist aber sicher. Für die Übersichtlichkeit und leichtere Zugänglichkeit des Textes wäre zudem eine tiefere Textgliederung von erheblichem Nutzen gewesen. Ärgerlich sind die vielen Druck- und Flüchtigkeitsfehler im Text, die manche argumentative Leichtverständlichkeit ungewollt zum Rätsel machen.[1]

Mehr als bemerkenswert ist die stupende Übersicht und Auswertung der Forschungsliteratur. Es werden nur wenige Ergebnisse historischer Forschung sein, die Wilke entgangen sind oder von ihm nicht aufgegriffen werden, und wenn man sich gelegentlich genauere oder etwas weiter ausgeführte Beschreibungen gewünscht hätte, so läßt sich die Knappheit leicht mit der Überfülle des Materials argumentieren, - ein Argument, daß sich im Zweifel auch auf tatsächlich entgangene oder absichtlich übergangene Details anwenden ließe. Im übrigen wird man Vermißtes vielleicht an anderer Stelle doch erwähnt finden. Als langjähriger Ordinarius für Pressegeschichte an der Universität Mainz zeigt sich Wilke als Souverän seines Metiers: 36 Literaturangaben findet man unter seinem Namen, ein Mehrfaches dürfte die Zahl der Bücher und Aufsätze seiner Schüler und nahen Kollegen betragen, wohl die gesamte, etwa 1200 große Zahl aller Belege wird aufgearbeitet, angemerkt und referiert. Ob sich das Buch aber tatsächlich als Einführung für fachlich weniger interessierte Leser eignet, mag man bezweifeln, da ihnen wohl zu viel Details und Namen, aber zu wenig Zusammenfassungen und Trendanalysen angeboten werden. Somit bleibt die Zielgruppe auf die im engeren Sinne fachlich Interessierten beschränkt. Auch sie werden bedauern, daß Wilke keinen Bearbeiter für ein Sachregister gefunden hat, das den Zugang zur übergroßen Materialfülle erleichtert oder auch überhaupt erst möglich gemacht hätte. Die Wünsche für eine überarbeitete Auflage liegen auf der Hand: Eine tiefere Textgliederung, deutlicheres Absetzen von Tabellen und Titellisten, Umsetzen der "amerikanischen" Zitate und Belege in einen Anmerkungsapparat, Korrektur der Druckfehler und Herstellung eines Sachregisters. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich Wilkes und Stöbers[2] zeitgleiche deutsche Pressegeschichten im wirtschaftlichen Kalkül der Verlage nicht gegenseitig blockieren und die optimierende Überarbeitung beider Einführungen von daher kein vergeblicher Wunsch bleibt.

Wilbert Ubbens


[1]
Vgl. z.B. S. 57 unten: "Vier Seiten im Quartformat entsprachen etwa Seiten im Oktavformat." Oder S. 165 Mitte: "Mitte der 1890er Jahre entfielen mehr als neuen Zehntel aller Telefongespräche auf den Wirtschaftsverkehr." Oder S. 210 Mitte: "Doch suchten von dem offensichtlichen publizistischen Erfolg andere Unternehmungen des Verlages und mehrere Nachahmungen anderer zu profitieren." (zurück)
[2] IFB 01-2-. (zurück)

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