Stammbücher sind - das mag schon dieses kleine Beispiel belegen - eine äußerst vielseitige prosopographische, auch kultur- und rezeptionsgeschichtliche Quelle. Und mehr noch, sie werfen ein Licht auf Verbindungen und Verflechtungen in der gelehrten Welt, der respublica litteraria, wie sie uns sonst nur Briefwechsel und die Beigabe von Widmungen, literarischen Beiträgen und handschriftlichen Einträgen in gedruckten Büchern anzeigen.
Glücklicherweise wird schon seit gut zwei Jahrzehnten die
differenzierte Erschließung der in öffentlichen Sammlungen zu
findenden Stammbücher nicht nur diskutiert, sondern zunehmend auch
durchgeführt. Seit den Überlegungen zur Katalogisierung von
Stammbüchern von Wolfgang Milde und zur Erfassung von Stammbüchern ...
aus überregionaler Sicht von Hans Joachim Mey anläßlich des 1979 in
der Herzog August Bibliothek veranstalteten Arbeitsgesprächs
Stammbücher als kulturhistorische Quellen,[3] sind verschiedene
gedruckte Kataloge von Stammbuchsammlungen erschienen, die sich an den
hier formulierten Standards orientieren.
Die Ansprüche an die Erschließung der Stammbücher betreffen zum einen
die ausreichende Erfassung der zahlreichen heterogenen Informationen
dieser Quellen, zugleich soll das Stammbuch aber auch schon im Katalog
als "ein in sich geschlossenes Ensemble" (Mey, a.a.O. S. 227) sichtbar
werden, d.h. das Verzeichnis soll die Fülle der enthaltenen
Einzeldaten - biographische, chronologische und geographische Angaben,
literarische und künstlerische Beiträge - in ihrer Verknüpfung
dokumentieren und damit der Forschung möglicherweise Einblicke in
bislang nicht bekannte Zusammenhänge öffnen.
Auch Ingeborg Krekler folgt in ihrem 1999 veröffentlichten Verzeichnis
der Stammbücher (bis 1625) der Württembergischen Landesbibliothek
Stuttgart diesen Ansprüchen an die Beschreibung und legt uns damit ein
weiteres Nachweisinstrument vor, das die Vielfalt der
frühneuzeitlichen Stammbücher aufscheinen läßt.
Zum Bestand der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart gehören
162 Stammbücher sowie 8 Stammbuchfragmente, 37 Einzelblätter und 7
Handschriften des Weingartener Mönchs Gabriel Bucelin mit Einträgen.
In dem vorliegenden ersten Katalogband der Stammbücher hat Ingeborg
Krekler 61 Stammbücher und acht Fragmente mit insgesamt rund 9350
Einträgen erschlossen. Für die Erfassung wurde die chronologische
Grenze bei den bis 1625 begonnenen Stammbüchern gezogen. Es verbleiben
annähernd 100 noch zu katalogisierende Stücke des Zeitraums ab 1626
bis in das 20. Jahrhundert. Aus welchen Gründen das Jahr 1625 als
Einschnitt für den ersten Katalogband gewählt wurde, geht aus der
Einleitung nicht hervor, auch nicht, warum auf die geschlossene
Verzeichnung des Gesamtbestands mit einem gemeinsamen Registerband
verzichtet wurde.
In einer kurzen Einleitung (S. VII - XIII) stellt Krekler den
Stammbuch-Bestand der Stuttgarter Bibliothek im Überblick vor und
führt in den Aufbau des Katalogs, die Beschreibungsregularien und
Register ein; auf ein Abkürzungsverzeichnis (XV - XVI) und ein
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur (XVII - XXXIV) folgt der
Katalogteil (S. 3 - 177), den Abschluß bilden die umfangreichen
Register (S. 179 - 401). Obwohl es sich bei dem verzeichneten Bestand
zum Teil um reich illustrierte Stammbücher handelt, verzichtet der
Katalog - das mag man bedauern - auf einen Abbildungsteil.
Die Katalogaufnahmen und Register folgen den anerkannten
gattungsspezifischen Verzeichnungsstandards, wenngleich auf die
Erfassung wichtiger inhaltlicher Merkmale verzichtet wurde. Die
Beschreibungen sind chronologisch nach dem jeweils frühesten Eintrag
in den Stammbüchern geordnet. Den Anfang bildet das Album des
württembergischen Oberrats Johann Burghard von Anweil mit Einträgen
aus der Zeit 1556 - 1564, das nach 1593 von Johann Michael Weckherlin
weitergeführt wurde. Zu den herausragenden Quellen des im folgenden
erschlossenen Bestands zählt das unter Nr. 16 beschriebene Stammbuch
des württembergischen Theologen und Musikgelehrten Paul Jenisch (1558
- 1647), das neben etwa 1100 Autographen annähernd 200
Originalillustrationen, über 200 Kupferstiche und Holzschnitte sowie
knapp 500 Wappen enthält. Auf die Überschrift mit laufender
Katalognummer, Bibliothekssignatur und Nennung des Stammbuchbesitzers
folgt die formale Beschreibung, die alle wichtigen physischen Daten
der Bücher enthält: Beschreibstoff, Blattzahl und Maße, Beigaben aller
Art - wobei die bildlichen Darstellungen getrennt nach künstlerischen
Techniken einzeln aufgeführt werden -, Beschreibung des Einbands und
ähnliche Informationen.
Es schließen sich Angaben zur Geschichte und Herkunft der Handschrift
an, die - soweit möglich - Vorbesitzer und spätere Inhaber nennen
sowie die Erwerbungsgeschichte der Stammbücher vermitteln.
Literaturangaben zur gesamten Handschrift beschließen dieses Segment.
Der zweite große Abschnitt widmet sich zunächst der zusammenfassenden
inhaltlichen Beschreibung des einzelnen Stammbuchs und führt sodann
die Einträge in der Reihenfolge der Handschrift auf. Zunächst wird die
Zahl der vorhandenen Einträge für den jeweiligen Besitzer mitgeteilt,
dessen wichtigste biographische Daten stichwortartig, in gängigen
Abkürzungen und mit einzelnen Literaturangaben beigegeben werden.
Schließlich folgt eine Aufzählung der Eintragungsorte nach ihrer
Chronologie mit der Angabe der jeweiligen Zeitspanne, aus der
Inskriptionen vorliegen. Diese vorgreifende summarische Darstellung
der Einzelinskriptionen öffnet interessante biographische Einblicke in
die Aufenthaltsorte und die Kavaliers- und Bildungsreisen der
Stammbuchbesitzer.
In kompakter Form werden anschließend die Beschreibungen der Einträge
aneinandergereiht: Blattzählung, Name des Einträgers, gegebenenfalls
kurze Kennzeichnung einer zugehörigen Beigabe (mit einer Abkürzung
B/Bildnis, W/Wappen etc.), Ort und Datum des Eintrags. Das gesamte
personengeschichtliche Material finden wir hier akribisch
aufgeschlüsselt und mit den chronologischen und geographischen Daten
vereint. Verzichtet wurde jedoch auf die Bereicherung dieser Angaben
um inhaltliche Nachweise der literarischen und künstlerischen
Beiträge. Während die Illustrationen noch im ersten Abschnitt der
Katalogaufnahme kurz summarisch dargestellt werden und ein
Bildregister (s.u.) später konkreten Zugang verschafft, nimmt der
Katalog eine Erschließung der literarischen Beiträge grundsätzlich
nicht vor. So finden wir etwa auch keine engeren oder weiteren
gattungsbestimmenden Angaben zu schriftlichen Einträgen, etwa
Bibelspruch, Devise, Epigramm, Sentenz oder dergleichen, keine Angaben
zur Sprachlichkeit, keine Hinweise auf Zitatquellen.
Rezeptionsgeschichtliche Forschungsinteressen in Hinblick auf
Kanonrekonstruktion u.ä. werden sich folglich nicht bedient sehen. Das
mag man bedauern, wäre es doch für Albenbesitzer wie einen Georg
Rudolf Weckherlin gewiß von Aussagekraft. Die Fehleranfälligkeit mag
ausschlaggebend gewesen sein, diese Nachweise der Einzelforschung zu
überlassen.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Eindeutigkeit (S. XII) wurde an
dieser Stelle auch auf biographische Angaben zu den eintragenden
Personen verzichtet. Das Personenregister bietet jedoch jeweils
Kurzinformationen zu den Beiträgern. Da uns in vielen Fällen ein nicht
allgemein bekannter, sondern eher ein orts- oder regionalgeschichtlich
interessanter Personenkreis in den Stammbucheintragungen
entgegentritt, sind diese kurzen biographischen Angaben zur ersten
Handhabung des Katalogs wichtig und sehr hilfreich.
Wünschenswert wäre in diesem zweiten Katalogteil eine bessere
Übersichtlichkeit in der Darstellung. Nicht selten reihen sich viele
Dutzend Namen, Daten und Orte in einer ununterbrochenen Kette
aneinander, worunter die Lesbarkeit der Texte leidet.
Vier Register erschließen den Katalogteil: 1. Das Personenregister
umfaßt (geschätzt) mehr als neuntausend Personen - Einträger und
Besitzer sowie Familien und Einzelpersonen, die nur mit einem Wappen
vertreten sind - und bietet den Katalogbenutzern in den heute üblichen
Verzeichnungsstandards (normierte Namensansätze, Vorlageform nur bei
nicht zu identifizierenden Personen; Verweisungen etc.) mit den schon
erwähnten biographischen Kurzangaben reiches Material zu
personen- aber auch regionalgeschichtlichen Recherchen. 2. Das
Ortsregister
enthält alle in den Stammbucheinträgen genannten Orte. 3. Das sehr
nützliche Bildregister präsentiert die Motive und Stoffe der
Originalillustrationen sowie der Druckgraphik unter Schlagwörtern, die
in Großgruppen zusammengestellt sind. Zusätzlich werden die
künstlerischen Techniken erwähnt. Die in 17 Großgruppen (von
Allegorien über Christliche Thematik, Musik, Natur bis zu den Varia,
die beispielsweise unter dem Schlagwort Originalbeiträge von Malern
und Zeichnern entsprechende Beiträge zusammenfassen) geordneten mehr
als 700 Einzelschlagwörter ergeben einen guten Überblick über die
ikonographischen Bezüge der Stuttgarter Stammbücher. Wie zu erwarten
bildet die christliche Überlieferung neben dem engen Bezug auf antike
Vorbilder das Hauptreservoir, aus dem die Allegorese dieser typisch
frühneuzeitlichen literarisch-künstlerischen Mischform schöpft.
Dankbar ist man für den raschen Überblick, den die Großgruppe Porträts
gewährt, die in alphabetischer Reihenfolge die in Porträt und
Ganzfiguren dargestellten Personen benennt. 4. Eine Erweiterung des
dritten Registers stellt dasjenige der Künstler, Stecher und Verleger
der druckgraphischen Blätter dar.
Mit dem vorliegenden ersten Katalog der Stammbücher der
Württembergischen Landesbibliothek hat Ingeborg Krekler einen
respektablen Beitrag zur Erschließung dieser Quellengruppe geliefert.
Der Katalog bietet nicht nur eine große Fülle von Einzeldaten, sondern
läßt zu einem guten Teil auch die einzelnen Stammbücher in ihrer
Struktur wie in ihrer Singularität erkennbar bleiben. Freilich gibt es
Informationen, die uns die Beschreibungen vorenthalten. Dies betrifft
den schon erwähnten Verzicht auf Angaben zu den Einträgen selbst.
Wenngleich ein Katalog anders als Faksimile, Reprint oder Edition die
Fülle der Einträge nicht im ganzen Wortlaut widergeben kann,
wenngleich aus verschiedenen Gründen eine konkrete inhaltliche
Bestimmung der Inskription bei der Erschließung umfangreicher Bestände
im Katalog nicht zu leisten ist, so ist dennoch zu überlegen, ob es
nicht praktikable und aussagekräftige Kompromisse zwischen solcherart
intensiver Erschließung und völligem Verzicht auf entsprechende
Angaben gibt. Wie die Kurzcharakteristik der Bildinhalte würde doch
auch eine allgemeine Kennzeichnung der schriftlichen Einträge im
Katalog, etwa in der oben angedeuteten Form (Gattung, Sprache, Quelle,
Zitatverweis u.ä.) Sinn machen. Entsprechende Indizes, etwa die der
zitierten Autoren, Werke und Bibelstellen, würden neben dem
ikonographischen Register weitere aufschlußreiche inhaltliche
Informationen über diesen Stammbuchbestand liefern und die historische
Forschung verschiedenster Fachrichtungen unterstützen.[4]
Petra Feuerstein-Herz
Zurück an den Bildanfang