Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
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Lexikon der christlichen Antike


00-1/4-373
Lexikon der christlichen Antike / hrsg. von Johannes B. Bauer und Manfred Hutter. Unter Mitarb. von Anneliese Felber. - Stuttgart : Kröner, 1999. - XXXI, 387 S. ; 18 cm. - (Kröners Taschenausgabe ; 332). - ISBN 3-520-33201-9 : DM 49.80
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Das Lexikon der christlichen Antike (LCA) ist eine Gemeinschaftsleistung von 24 ganz überwiegend österreichischen, und hier wiederum hauptsächlich in Graz tätigen Wissenschaftlern aus dem Bereich der theologischen und religionsgeschichtlichen Institute. In rund 1000 Einträgen wollen sie die Welt der christlichen Antike, den Zeitraum vom 1. bis zum 8. Jahrhundert, als gegenüber der klassischen Antike eigenständige und den europäischen Kontinent bis heute nachhaltig prägende Epoche vorstellen. Das ist freilich ohne Rückgriffe auf das nichtchristliche Altertum unmöglich, wie natürlich auch die Herausgeber wissen. Rekurse auf Phänomene in den noch nicht vom Christentum geprägten Jahrhunderten sind deshalb unvermeidlich und tauchen regelmäßig auf. Zugleich sollen auch lebensweltliche Realitäten und Begriffe aus dem nichtchristlichen Umfeld berücksichtigt werden. "In diesem erweiterten Spektrum gewinnt das Lexikon an fachlicher Breite und richtet sich damit nicht nur an den theologischen Fachwissenschaftler und an Theologiestudenten, sondern auch an in jeder Weise kulturgeschichtlich interessierte Laien" (S. IX).

Dem lexikalischen Teil geht u.a. ein sehr nützliches Literaturverzeichnis, vor allem mit Übersetzungen antiker christlicher Autoren voran. Die Behandlung der einzelnen Lemmata ist knapp, längere Einträge mit mehr als drei Spalten kommen durchaus vor, sind aber nicht die Regel. Mit Hinweisen auf antike Quellen wurde nicht gespart, Sekundärliteratur wird jeweils am Ende der gezeichneten Artikel angegeben.

Seinen sehr weit gesteckten konzeptionellen Zielen hinsichtlich des Inhalts kann ein Lexikon von nicht einmal 400 Seiten selbstverständlich niemals in einem Umfang realisieren, der nicht letztendlich doch wieder zur Kritik Anlaß gäbe. Insbesondere was die sozialen und politischen Implikationen der frühchristlichen Gesellschaft betrifft, werden Defizite deutlich. So gibt es zwar einen Eintrag unter Ehe, aber ein so zentrales, in der aktuellen Forschung wichtiges Thema wie Familie fehlt. Gemeinde oder Ekklesia als die ursprüngliche Form der Vergemeinschaftung klingt zwar in einzelnen Beiträgen an, erhält aber keine selbständige Darstellung. Die Diskussion über eine tragfähige philosophische Konzeption der Welt als eines von Gott geschaffenen Ortes, in dem das Christentum zwar lebt, zu dem es aber immer wieder wechselseitig zu erheblichen Spannungen kommen kann, ist im Artikel Welt thematisiert, aber ein wichtiges Beispiel für die Konkretisierung dieses Problems, das Verhältnis des Christentums zum Kaiser und zum Kaiserkult, ist nicht vertreten.[1] Aus historischer Perspektive kommt auch die geschichtliche Dimension genuin christlicher Phänomene zu kurz. Die Parusie bzw. Naherwartung und die für das Urchristentum ganz elementare Erfahrung des Ausbleibens der sehr bald erwarteten göttlichen Wiederkunft, die Parusieverzögerung, aber auch die historisch-deskriptive Behandlung der Kirche als einer Institution sind aus diesem Blickwinkel Desiderata. Die letztlich damit augenfällig werdende vorrangige Konzentration des Lexikons auf theologische, philosophische, i.e.S. geistesgeschichtliche Themen des frühen Christentums findet ihren Niederschlag im übrigen auch in der Literaturauswahl, wo bisweilen die altertumswissenschaftliche Standardliteratur fehlt.[2]

Über den Hinweis auf das, was vom LCA nicht erwartet werden darf, kann nun um so klarer hervortreten, was dieses kleine Lexikon eigentlich (und m.E. abweichend von den oben zitierten Zielvorstellungen) ist: ein sehr brauchbares Hilfsmittel für alle, die sich in der Ideen- und Glaubenswelt des frühen Christentums orientieren wollen, ohne den christlichen Horizont dabei übermäßig ausdehnen zu wollen. Auch unerwartete Stichwörter wie Käse oder Milch werden, so überraschend sie zunächst sind, auf einen spezifisch christlichen (in diesem Fall: Opfer-) Kontext bezogen.

Die Empfehlung des Buches gilt damit also in erster Linie für den an der Ideenwelt des frühen Christentums interessierten Leser.

Joachim Migl


[1]
Erwähnung des letzteren aber z.B. beim Artikel Soldatenstand. (zurück)
[2]
Z.B. zum Artikel Witwen: Witwen und Waisen im Römischen Reich / Jens-Uwe Krause. - Stuttgart : Steiner. - [1]. (1994) - [4]. (1995). - (Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien ; 16 - 19). - Zugl.: Heidelberg, Univ., Habil.-Schr., 1992/93.
Ferner die Arbeiten von Peter Brown, etwa: Autorität und Heiligkeit : Aspekte der Christianisierung des Römischen Reiches / Peter Brown. Aus dem Engl. übers. von Diether Eibach. - Stuttgart : Reclam, 1998. - 127 S. - (Universal-Bibliothek ; 9709). - Einheitssacht.: Authority and the sacred <dt.>. - ISBN 3-15-009709-6. - Oder: Die Entstehung des christlichen Europa / Peter Brown. Aus dem Engl. übers. von Peter Hahlbrock. - München : Beck, 1996. - 404 S. : Kt. - (Europa bauen). - Einheitssacht.: Divergent Christendoms <dt.>. - ISBN 3-406-40519-3. - Gleiches gilt für die Bücher von Robert Markus u.v.a. (zurück)

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