Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Lexikon der Vereinten Nationen


00-1/4-332
Lexikon der Vereinten Nationen / hrsg. von Helmut Volger. Mit einem Vorw. von UN-Generalsekretär Kofi Annan. - München [u.a.] : Oldenbourg, 2000. - XVI, 775 S. ; 24 cm. - ISBN 3-486-24795-6 : DM 78.00
[6027]

Lohnt sich noch ein eigenes Nachschlagewerk für die Vereinten Nationen (UN), deren Stellung im internationalen System geschwächt ist und deren Reform immer wieder diskutiert wird? Sicherlich, denn sie spielen in den internationalen Beziehungen immer noch eine zentrale Rolle und sind keinesfalls obsolet, weder als Forum der Auseinandersetzung noch als Akteur in der internationalen Politik.

Der Herausgeber, Helmut Volger, ist bereits mit anderen politikwissenschaftlichen Nachschlagewerken hervorgetreten,[1] und auch die Beiträger sind nicht minder ausgewiesen: in dem sechsseitigen Autorenverzeichnis findet man viele einschlägig bekannte Namen.

Nach dem Vorspann (Vorwort des amtierenden UN-Generalsekretärs Kofi Annan, Einleitung des Herausgebers, Hinweise für den Benutzer, Abkürzungsverzeichnis) folgt der alphabetische Hauptteil (675 S.) mit 166 Artikeln. Der Anhang enthält den Text der Charta der UN, eine Liste der Mitgliedsstaaten (mit Beitrittsdatum), Angaben zu Informationsmöglichkeiten über die UN und zu Depotbibliotheken in Deutschland, eine Übersicht über die UN-Dokumentnummern, eine Dreisprachenliste der wichtigsten UN-Institutionen (55 S.), ein Sachregister (6 S.) sowie das bereits genannte Autorenverzeichnis.

Das Lexikon hat einen klaren Schwerpunkt bei der Behandlung der Institutionen: Organe und Sonderorganisationen der UN werden vorrangig behandelt. Dazu kommen Artikel über einzelne Politikfelder (z.B. Umweltschutz, Friedenssicherung, Menschenrechtspolitik, Frauen und die UN) und die UN-Politik wichtiger Länder ist ebenso berücksichtigt wie einzelne Sachbegriffe (Geschichte, Minderheitenschutz, Sanktionen, Terminologie, Internet etc.). Hervorzuheben ist die didaktische Ausrichtung des Werkes, da beispielsweise die Depotbibliotheken und das Dokumentationssystem näher beschrieben werden und im Anhang die Dokumentennummersystematik erläutert wird; zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der Artikel Die UN im Internet.

Die Artikel umfassen durchschnittlich vier Seiten, sind gut strukturiert, mit Verweisungen reich versehen und enthalten zum Schluß in ausreichendem Maß Literaturangaben und Adressen von Internetquellen.

So gediegen das Lexikon auf den ersten Blick erscheint, so tun sich bei näherem Hinsehen dennoch empfindliche Lücken auf:

Zwar sind manche Internationale Organisationen mit ihrem Verhältnis zu den UN aufgenommen worden (z.B. die EU und Weltbank), andere jedoch nicht, wie beispielsweise die NATO. Das läßt sich schwer entschuldigen, ist doch die UN nicht der einzige Faktor im internationalen System, weswegen es unabdingbar wäre, zumindest in einem Überblicksartikel das Verhältnis der UN zu anderen wichtigen internationalen Organisationen als auch internationalen Regimen zu analysieren. Übrigens ist die NATO noch nicht einmal im Sachregister zu finden.

So verdienstvoll die Behandlung der Politikfelder der UN ist, so sehr muß man kritisieren, daß sie nicht systematisch berücksichtigt wurden: Die Umweltprobleme (und damit die Umweltpolitik) sind mit einem Übersichtsartikel vertreten, die Sicherheitspolitik muß man sich aus Einzelartikeln zusammensuchen.

Auch der Artikel zum Internet ist äußerst konservativ gehalten, indem er nur einen Überblick über offizielle Websites von UN-Institutionen gibt, aber keinerlei Sekundärquellen nennt.

Man findet zwar die Nord-Süd-Beziehungen als Artikel, aber keinen Ost-West-Konflikt. Auch im Sachregister sucht man letzteren vergebens, man findet auch keinen Eintrag bei "Kalter Krieg". Ob das nicht etwa ein schiefes Bild über die Vergangenheit vermittelt?

Auch Erdteile/Weltregionen sucht man vergebens: Jemand, der z.B. zum Thema "Lateinamerika und UN" arbeitet, hat so keine Möglichkeit, einen Überblick zu bekommen. Nicht nur das: Wichtige Sachverhalte bezüglich einzelner Weltregionen werden gar nicht aufgeführt. In Lateinamerika z.B. spielt die CEPAL (Wirtschaftskommission für Lateinamerika und den karibischen Raum, englisches Akronym: ECLAC) eine so wichtige Rolle bei der Formulierung wirtschaftspolitischer Ziele, daß man bei einer bestimmten wirtschaftspolitischen Ausrichtung von "Cepalismo" spricht. Mit viel Suchaufwand findet man die Kommission und den Sachverhalt im Artikel Wirtschaftskommissionen, regionale, sucht jedoch vergeblich in der Dreisprachenliste der wichtigsten UN-Institionen oder im Sachregister danach.

Ebenso sind die Missionen der UN (beispielsweise im Libanon oder Somalia) nicht als Stichwort unter den Artikeln oder im Sachregister zu finden. In der Dreisprachenliste sind etliche zu finden, das ist aber einerseits sehr mühselig, andererseits ist schwer zu sagen, ob sie vollständig aufgenommen wurden.

Skurril auch die Behandlung der Vorgängerorganisation: Der Völkerbund wird zwar in einem eigenen Artikel behandelt, wird aber im Artikel Entstehungsgeschichte der UN nicht erwähnt.

Eine wichtige Vermittlerorganisation von Informationen über die UN in Deutschland, die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) fehlt.

Dieselben Schwächen und Lücken wie beim Inhalt lassen sich auch bezüglich des kargen Registers konstatieren. Es zeichnet hauptsächlich die Struktur des Inhalts nach. Stichwörter aus dem Inhalt wurden gar nicht aufgenommen, selbst wenn sie als Zwischenüberschrift in den Artikeln stehen, wie z.B. die oben erwähnte CEPAL. Der Artikel Rußland, UN-Politik ist vorhanden, die Sowjetunion aber nicht, auch nicht im Register! Hat es etwa die Sowjetunion/UdSSR nie gegeben? Man findet zwar Korea- und Kubakrise sowie einen Kosovo-Konflikt, aber keine Ungarn-Krise (1956). So wie die NATO glänzt auch die OECD durch Abwesenheit. Wären nicht die Verweisungen im Text, die immerhin eine gewisse Erschließung bei der Lektüre ermöglichen, könnte man fast von einem Totalausfall in Bezug auf die Erschließung des Lexikons sprechen.

Ein nicht gering zu veranschlagendes Problem bei der Benutzung entsteht auch dadurch, daß die Namen im Text in deutscher Form verwendet werden, die Abkürzungen bzw. Akronyme aber die englische Form haben.

Trotz dieser recht langen Liste von Lücken und Mängeln fällt die Gesamtbewertung dieses Werkes positiv aus: Das letzte umfangreiche deutschsprachige Nachschlagewerk zur UN, das Handbuch Vereinte Nationen,[2] erschien zuletzt 1991. Für die Lehre ist es von Vorteil, daß mit dem Lexikon der Vereinten Nationen nun ein knapperes, vor allem aber aktuelleres Werk vorliegt, das insbesondere die Institutionenperspektive und auch die Angaben zur Fachliteratur angemessen fortschreibt. Herausgeber und Verlag sollten sich die obigen Punkte als Wunschliste für die zweite Auflage vormerken.

Jürgen Plieninger


[1]
Z.B. Lexikon der internationalen Politik. - Rez.: IFB 99-1/4-369. (zurück)
[2]
Handbuch Vereinte Nationen / hrsg. von Rüdiger Wolfrum. - 2., völlig neu bearb. Aufl. - München : Beck, 1991. - XXI, 1180 S. ; 24 cm. - ISBN 3-406-34113-6 : (vergr.) (zurück)

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