Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
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Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königsberg (1720


00-1/4-308
Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königsberg (1720 - 1804) / mit einer Einleitung und Registern hrsg. von Michael Oberhausen und Riccardo Pozzo. - Stuttgart-Bad Cannstatt : frommann-holzboog, 1999. - Teil-Bd. 1 - 2. - LXVIII, 787 S. ; 30 cm. - (Forschungen und Materialien zur Universitätsgeschichte : Abt. 1, Quellen zur Universitätsgeschichte ; 1). - ISBN 3-7728-1494-8 : DM 548.00
[5797]

Vorlesungsverzeichnisse gehören nicht zum bevorzugten Sammelgut wissenschaftlicher Bibliotheken. Ihr schnelles Anwachsen, der erforderliche große Stellraum, sowie ihr schnelles Veralten scheinen triftige Gründe zu liefern, sie nicht auf Dauer bereitzustellen. So gibt es zwar einige Universitätsbibliotheken, die Vorlesungsverzeichnisse über einen längeren Zeitraum systematisch gesammelt haben, mittlerweile ihre Sammlungen aber nicht mehr weiter pflegen, ja sogar zu Aussonderung oder Abgabe greifen.

Sind schon die Vorlesungsverzeichnisse des 19. und 20. Jahrhunderts nicht so vollständig wie wünschenswert archiviert, gibt es bei den schmalen, nur wenige Seiten umfassenden "Catalogi Praelectionum" der Frühen Neuzeit erst recht empfindliche Lücken. Zwar hatten Wilhelm Erman und Ewald Horn schon vor fast hundert Jahren einschlägige Bestände in ihrer monumentalen Bibliographie der deutschen Universitäten[1] nachgewiesen, doch waren die dortigen Besitznachweise durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in vielen Fällen nicht mehr aktuell.

Konrad Schröder[2] und Horst Walter Blanke, letzterer vor allem durch die Berücksichtigung der in zeitgenössischen Periodika publizierten Lektionskataloge,[3] machten sich in der Folgezeit um die bibliographische Erfassung der selten gewordenen Hochschulschriften verdient.

Für die Königsberger Albertus-Universität ist die Problematik der zerstörten und zerstreuten literarischen Überlieferung besonders virulent, wurden doch 1944/45 mit der Stadt auch die Universität, die Staats- und Universitäts- sowie die Stadtbibliothek weitgehend zerstört. Ausgelagerte Bestände gelangten später in polnische, litauische und russische Bibliotheken, besonders in die Universitätsbibliothek Thorn, die Nationalbibliotheken in Warschau und Wilna sowie in die Akademiebibliotheken in St. Petersburg und Wilna. Erst nach der Öffnung des ehemaligen Ostblocks konnten sich Forscher einen detaillierten Überblick über die geretteten Königsberger Schätze verschaffen.

So entstand die hier anzuzeigende Edition Königsberger Vorlesungsverzeichnisse 1720 - 1804 auf der Basis einer einschlägigen Sammlung des Königsberger Bibliothekars, Landeshistorikers und Kantforschers Rudolf Reicke (1825 - 1905), die über die Stadtbibliothek Königsberg (Signatur: Q 58.2ø) nach 1945 in die Warschauer Biblioteka Narodowa gelangt war (Signaturen : XVIII.3.11061 - 11090 und 12279). Riccardo Pozzo, ebenfalls Kantexperte, entdeckte sie dort wieder, fand weitere Rara in Thorn und Allenstein, konnte aber noch keine vollständige Sammlung für die Jahre 1720 bis 1804 zusammenstellen.[4] Vermutlich ist die Suche nach noch fehlenden Jahrgängen der Grund für die immer wieder verzögerte Publikation des jahrelang angekündigten Werks.[5] Erst die beiden aus der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek stammenden, heute im Geheimen Staatsarchiv in Berlin aufbewahrten Sammelbände (Signaturen : Q 26 2øz und Tl3 Fol. Gh) ermöglichten eine lückenlose Dokumentation.

Die Geschichte der Königsberger Albertina im 18. Jahrhundert ist natürlich sehr eng mit der Person ihres berühmtesten Dozenten, Immanuel Kant, verbunden. So erstaunt es nicht, daß gerade die Kantforschung immer wieder die Frage nach Königsberger Vorlesungsverzeichnissen der Ära Kant gestellt, diese auch schon mehrfach ausgewertet hat und letztlich auch der Ausgangspunkt der Edition von Oberhausen und Pozzo war. Nach einer ausführlichen Einleitung, in der die Bedeutung der Vorlesungsverzeichnisse für die Geschichte der philosophischen Fakultät besonders herausgearbeitet wird, präsentieren die beiden Herausgeber verkleinerte Nachdrucke der ursprünglich im Folioformat gedruckten, nach Fakultäten gegliederten Lektionskataloge. Die bis 1770 dreiseitigen Verzeichnisse erscheinen ohne Titelblatt. Dafür werden ausgewählte Titelblätter abgedruckt. Ab dem Wintersemester 1770/71 präsentierten sich die Vorlesungsverzeichnisse in erweiterter, nunmehr meist siebenseitiger Form. Sie enthielten jetzt zusätzlich auch die Ankündigungen der übrigen Universitätsangehörigen wie Sprach-, Fecht- oder Tanzmeister.

Erschlossen wird die Edition durch ein Register der in den Vorlesungen behandelten Bücher der Bibel, der Lehrpersonen mit ihren Lebensdaten[6] und, besonders wertvoll, der genannten Personen, Autoren, Werke und Handbücher. Letzteres ermöglicht einen tiefen Einblick in die für die akademische Lehre benutzte Literatur.

Genau dies ist ein gewichtiges Argument für den Nachdruck von zweihundert und mehr Jahre alten Vorlesungsverzeichnissen, lassen sich doch hier wie sonst nirgendwo die Inhalte des gelehrten Unterrichts im Detail rekonstruieren, wird beantwortet, was wo zu welcher Zeit gelehrt oder auch nicht gelehrt wurde, ermöglichen die Lektionskataloge präzise Aussagen darüber, welche Ideen, wo zuerst, wo später oder wo auch gar nicht rezipiert wurden. So erstaunt es wenig, daß mittlerweile eine Reihe von Disziplinen auf diese Quellengattung zurückgegriffen haben,[7] auch wenn deren kleinere Schwächen wie Ungenauigkeit oder ausgefallene Lehrveranstaltungen nicht zu leugnen sind.

Im Falle Königsberg spricht sicher vieles für den Schwerpunkt auf der Epoche der Aufklärung und Immanuel Kants. Gedruckte Vorlesungsverzeichnisse gab es an der Albertina aber schon ab 1635,[8] die, sofern heute noch verfügbar, von ganz ähnlicher Bedeutung für die Rekonstruktion des akademischen Unterrichts des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts wären. Dort würde sich unter anderem die lange Dominanz des Aristotelismus und der fast völlig fehlende Einfluß des Cartesianismus in Königsberg zeigen.

Zusammen mit anderen Hochschulschriften wie Dissertationen, Reden, Programmen sind Vorlesungsverzeichnisse wichtige Quellen der frühneuzeitlichen Universitäts-, Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Die neue Reihe des Verlages Frommann-Holzboog bietet ein ideales Forum für derartige Publikationen und man möchte hoffen, daß dort in den beiden Unterreihen zahlreiche Editionen von weiteren alten Vorlesungsverzeichnissen, Matrikeln, Senatsprotokollen, Dissertationenverzeichnissen und Spezialuntersuchungen herauskommen.

Manfred Komorowski


[1]
Bibliographie der deutschen Universitäten / Wilhelm Erman ; Ewald Horn. - Leipzig. - Bd. 1 (1904) - 3 (1905). - Nachdruck: Hildesheim, 1965. - Hier jeweils im Kapitel Vorlesungen, insbes. Bd. 2, Nr. 11516 - 11520. (zurück)
[2]
Vorläufiges Verzeichnis der in Bibliotheken und Archiven vorhandenen Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten aus der Zeit vor 1945 / Konrad Schröder. - Saarbrücken, 1964. (zurück)
[3]
Bestandsverzeichnis der in der Universitätsbibliothek Bochum vorhandenen Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten und Hochschulen / Horst Walter Blanke. - Bochum, 1983. - Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten / Horst Walter Blanke. // In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. - Teil 2. //10 (1987), S. 17 - 43, hier S. 25 - 26. - Teil 3. // 11 (1988), S. 105 - 117, hier S. 114. Leider berücksichtigte letztere Publikation die in den Wöchentlichen Königsbergischen Frag- und Anzeigungsnachrichten (ab 1727) sowie den Königsbergischen gelehrten und politischen Zeitungen (ab 1764) abgedruckten deutschsprachigen Vorlesungsankündigungen nicht. Die beiden Periodika sind heute sehr rar geworden. (zurück)
[4]
Vgl. hierzu seinen Projektbericht : Catalogus praelectionum Academiae Regiomontanae 1719 - 1804 / Riccardo Pozzo. // In: Studi Kantiani. - 4 (1991), S. 163 - 187. (zurück)
[5]
Da der Herausgeber von IFB gewohnt ist, bei Ankündigungen dieses Verlags nicht sofort aktiv zu werden, erkundigte er sich erstmals Anfang 1995 nach dem Erscheinungsdatum des hier besprochenen Werks und erfuhr aus einem Brief vom 2.2.95 : "Die Vorlesungsverzeichnisse ... sollen zu Beginn des Sommers 1995 endlich erscheinen. Ich hoffe, daß es bei diesem Termin, den ich soeben von der Herstellung erhielt, auch wirklich bleibt." Dazwischen wurden auf Nachfrage u.a. die Termine Mai 1996 und 1. Quartal 1997 genannt. Am 19.08.99 hieß es dann endlich: "In diesen Tagen erscheint in unserem Verlag: ...", was voreilig war, da dann der Buchbinder nicht mitspielte, so daß die beiden Bände erst am 17.12.99 eingingen. Aber, wie man der Rezension entnehmen kann, hat sich das Warten ja gelohnt. [sh] (zurück)
[6]
Zur Vertiefung sind hier besonders geeignet: Ausführliche und mit Urkunden versehene Historie der Königsbergischen Universität / Daniel Heinrich Arnoldt. - Königsberg, 1746 - 1769. - Theil 1 - 2; Zusätze, Fortgesetzte Zusätze. - Nachricht von der Kön. Universität zu Königsberg in Preußen und den daselbst befindlichen Lehr-, Schul- und Erziehungsanstalten / Johann Friedrich Goldbeck. - Leipzig ; Dessau, 1782. - Über die Universität zu Königsberg : ein Nachtrag zu Arnoldt und Goldbeck / Johann Daniel Metzger. - Königsberg, 1804. - Die drei Werke erschienen in einem vierbändigen Nachdruck (Aalen : Scientia, 1994). - In diesem Zusammenhang sollte auch ein weiterer Klassiker der preußischen Gelehrtengeschichte nicht vergessen werden: Entwurf einer preußischen Literärgeschichte in vier Büchern ... / Georg Christoph Pisanski. Hrsg. von Rudolf Philippi. - Königsberg, 1886. - (Nachdruck Hamburg, 1994). (zurück)
[7]
Vorlesungsverzeichnisse als rechtsgeschichtliche Quelle / Jan Schröder. // In: Die Bedeutung der Wörter : Studien zur europäischen Rechtsgeschichte [...]. - München, 1991, S. 383 - 401. Der Verfasser nennt eine Reihe von rechtshistorischen Untersuchungen für einzelne Universitäten und Fächer, die Vorlesungsverzeichnisse als Quellen herangezogen haben und skizziert auf dieser Basis die Entwicklung der Lehrfächer Naturrecht und "praktische Jurisprudenz". (zurück)
[8]
Vgl. Anm. 1. (zurück)

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