Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
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Dictionary of Russian women writers


00-1/4-214
Dictionary of Russian women writers / ed. by Marina Ledkovsky ; Charlotte Rosenthal ; Mary Zirin. - 1. publ. - Westport, Conn. ; London : Greenwood Press, 1994. - XVI, 869 S. ; 24 cm. - ISBN 0-313-26265-9 : $ 145.00
[5819]
00-1/4-215
Russian women writers / Christine D. Tomei, ed. - New York ; London : Garland, 1999. - Vol. 1 - 2. - XXX, 1548 S. : Ill. ; 24 cm. - (Women writers of the world ; 3) (Garland reference library of the humanities ; 1866). - ISBN 0-8153-1797-2 : $ 195.00
[5809]

Da fast alle Artikel in Russian women writers eine Verweisung auf das Dictionary of Russian women writers von 1994 enthalten, sei zunächst nachträglich dieses erste auf weibliche Autoren spezialisierte Lexikon vorgestellt. Erfaßt sind für denselben Zeitraum 448 Schriftstellerinnen, also eine erstaunlich große Anzahl. Drei Wissenschaftlerinnen haben es in den USA herausgegeben. In Händen von M. Zirin lag die Zeit von 1760 bis 1885, in denen von Ch. Rosenthal die anschließende Phase bis 1925 und in denen von M. Ledkovsky die Sowjet- und Emigrantenliteratur bis 1992. Die Artikel beginnen mit einer knappen Charakteristik des Schaffens der Schriftstellerin und ihres Platzes in der russischen Literatur. Es folgen die Biographie mit genauen Lebensdaten und Angabe der Betonung des Namens, sowie Einzelheiten zur familiären Herkunft. Im Rahmen der Werkbeschreibungen wird stets auch nach dem "feminist point of view" gefragt. Die Auswahl der Verfasser ist ausgezeichnet. Neben amerikanischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen wurden Fachleute aus anderen Ländern, auch eine Reihe von Russen herangezogen. Oft gelang es, Gelehrte zu gewinnen, die über die jeweilige Schriftstellerin publiziert hatten. Die Bibliographien sind auf russische und englische Titel spezialisiert, aber nicht ganz eingeschränkt. Das von neueren Lexika übernommene System, mit Siglen auf weitere Handbücher hinzuweisen, hebt den Wert der Bibliographien und führt auch zu deutscher Forschung. Der österreichische Bibliograph Günther Wytrzens scheint es in die Slavistik eingeführt zu haben.[1] Inzwischen bürgert es sich auch in russischen Enzyklopädien ein. Ein Register ermöglicht es, jene Stellen im Lexikon zu finden, an denen die Schriftstellerinnen über den ihnen gewidmeten Artikel hinaus genannt werden. Der Haupteintrag ist dank Fettdruck leicht findbar. Eine als Anhang gebotene Time line of Russian women writers in historical context ist bei der Einordnung der Schriftstellerinnen in die Literaturgeschichte hilfreich.

Christine D. Tomeis wissenschaftlich angelegtes Werk Russian women writers - eine Verbindung von Handbuch und Anthologie - veranschaulicht das Schaffen und die Bedeutung von 71 russischen Schriftstellerinnen von den ersten Anfängen der russischen Nationalliteratur im 18. Jh. bis zum Ende des 20. Jh., konkret von der Zarin Katharina II. bis Marina Palej (geb. 1955). Der einzelnen Schriftstellerin sind im Schnitt zwanzig Seiten gewidmet, davon entfallen etwa drei Fünftel auf Textbeispiele, die ins Englische übersetzt sind, und zwei Fünftel auf einen Leben und Werk beschreibenden Essay, eine Bibliographie und Anmerkungen. Die Herausgeberin hat für jede russische Schriftstellerin einen eigenen Verfasser gewählt, überwiegend amerikanische Wissenschaftlerinnen.

Jeder der 71 Schriftstellerinnen ist im Vergleich zu dem vorstehend angezeigten Autorenlexikon erheblich mehr Raum zugestanden, nicht nur für die übersetzten Texte. Die nichtalphabetische Ordnung zeugt davon, daß es nicht als Autorenlexikon geplant ist, aber außerhalb des amerikanischen Universitätsbetriebs wird man es vor allem als Handbuch nutzen. Wie in einer Literaturgeschichte ist die Grundordnung chronologisch. Diesen acht "Sektionen" wurden auch literarische, einem Werk aus dem Zeitraum entsprechende Titel gegeben. (Mit Michail Lermontovs A hero of our time ist die Sektion mit den 1704 - 1814 Geborenen überschrieben.) Die Reihenfolge der Schriftstellerinnen innerhalb dieser Sektionen ist alphabetisch, doch weicht die siebte davon ab. Bei der Benutzung als Nachschlagewerk bekommt also das Register erhöhte Bedeutung. Es ist zwar umfangreich, aber die Seiten mit den Artikeln der einzelnen Schriftstellerinnen sind nicht durch Fettdruck hervorgehoben.

Die Art der Artikelanfänge wurde von Ledkovskys Dictionary übernommen, sie beginnen mit einer Charakteristik des Platzes der jeweiligen Schriftstellerin in der russischen Literatur, geben aber leider nicht die Betonung des Namens an. Darüber ist (fast immer) ein meist hervorragend gewähltes und sehr gut reproduziertes Photo gestellt. Angesichts der Ausführlichkeit der Artikel und des Tatbestandes, daß viele dieser Schriftstellerinnen in bisherigen Literaturgeschichten gar nicht oder nur am Rande genannt werden und daß von ihnen oft noch nichts übersetzt wurde, zeugen die beiden Bände von viel neuer Forschung. Einige Beiträge stammen von denselben Autoren, die für das Dictionary geschrieben hatten, doch die andere Gesamtstruktur gibt ihnen mehr Raum. Selbstverständlich berücksichtigen auch hier alle Beiträge das feminine Element im Werk. Die Artikel sind mit Anmerkungen gearbeitet und gleichen in dieser Hinsicht denen in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden. Die Textauszüge sind in der Regel von den Verfassern selbst neu übersetzt. Die Bibliographien sind ausführlich gehalten, bieten bei der Primärliteratur auch Übersetzungen ins Englische, die Sekundärliteratur ist auf russische und englische Titel beschränkt, es fehlen sogar wichtige Monographien in anderen Sprachen. Das gute System der Verweisungen mit Siglen wurde nicht angewandt, was die Qualität auch für die Universitätslehre senkt.

Zu den besonders guten Artikeln gehören solche, bei denen die Autoren bereits Monographien, Artikel oder Lexikonbeiträge über die Schriftstellerinnen geschrieben hatten und bei heute lebenden persönlichen Kontakt aufnehmen konnten. Dazu zählen beispielsweise die über Ekaterina Daskova (1743 - 1810) von Alexander Woronzoff-Dashkoff, über Inna Lisnjanskaja (geb. 1928) von Ronald Meyer, über Elizaveta Mnatsakanova (geb. 1922) von Gerald Janecek, über Sofija Parnok (1885 - 1933) von Diana Lewis Burgin, über Ljudmila Petrusevskaja (geb. 1938) von Melissa T. Smith und Nyusya Milman, über Ol'ga Sedakova (geb. 1949) von Valentina Polukhina (mit Unpubliziertem aus der Sowjetzeit in der Bibliographie), über Anna Radlova (1891 - 1949) von Olga Muller-Cooke (jahrzehntelang unbeachtet, mit sachlich und menschlich wichtigen Korrekturen der Vospominanija von Nadezda Mandel'stam, uni sono mit Veniamin Kaverin, der andere menschlich schlimme Fälschungen in einem offenen Brief vom 20.3.1973 anprangerte),[2] über Frida Vigdorova (1915 - 1965) von Teresa Polowy.

Leider gibt es in Tomeis Werk auch recht schwache Artikel. Sogar der über die hochbedeutende Anna Achmatova (1889 - 1966) gehört dazu. Er zeigt trotz der reichlichen Sekundärliteratur mangelnde Grundkenntnisse der politischen Situation der Schriftstellerin unter dem Sowjetsystem. Die Autorin spricht von einem Schriftstellerkongress im August 1946, bei dem Achmatova aufgetreten sei, dabei hat die KPdSU nach dem Kriege Kongresse nicht zugelassen, und das Jahr 1946 ist in der Geschichte der Sowjetliteratur vor allem bekannt wegen eines Parteierlasses, in dem Achmatova beispielhaft angegriffen wurde, um die Literatur insgesamt stärker zu ideologisieren. Sehr schwach ist auch der Artikel über Margarita Aliger (1915 - 1992). Daß die bereits 1992 verstorbene Schriftstellerin als lebend bezeichnet wird, macht stutzig, ist aber verzeihlich. Auch hier hätten Informationen einfach aus dem Dictionary entnommen werden können. Der Hinweis auf A. Fadeev, als "famous novelist" ist typisch für die Unkenntnis des politischen Umfelds. Rosina Neginsky hatte es hingegen im Dictionary sehr gut in Bezug zum Schaffen gestellt. Die Schwierigkeit der Edition solcher Handbücher erkennt man beim Vergleich mit Sibelan Forresters gutem Artikel über Marija Petrovych, wo Fadeevs Mitverantwortung für den Tod vieler Schriftsteller klar herausgestellt wird.

Den Autoren stand neben dem beschriebenen Dictionary eine Reihe weiterer Handbücher zur Verfügung. Zwar wurden die Sammelbände Women writers in Russian literature[3] und A history of Russian women's writing,[4] beide gleichfalls von 1994, häufig herangezogen, doch sind Hinweise auf andere Lexika selten. Das wichtige, von Victor Terras herausgegebene Handbook of Russian Literature[5] von 1985, das auch zu zahlreichen Schriftstellerinnen gute Beiträge enthält, wird nur von wenigen zitiert - so von Tamira Pachmuss im Artikel über Nadezda Teffi. Der Artikel über Marija Skapskaja hätte durch Einbeziehung des bei Terras enthaltenen von Boris Filippov ebenso gewonnen wie der über Lidija Cukovskaja durch Benutzung des dortigen Artikels von John Glad, einem der besten Kenner der Emigrantenliteratur (dadurch fehlt z.B. auch der Hinweis auf E. Brejtbarts Artikel).[6] Vergeblich sucht man in Russian women writers nach auch nur einer einzigen Erwähnung von Xenia Gasiorowska, die vor drei Jahrzehnten über Women in Soviet fiction 1917 - 1964[7] schrieb, und dann von Terras für einen sehr großen Überblicksartikel Women and Russian literature[8] herangezogen wurde. Mein Lexikon lag zur Zeit der Ausarbeitung von Tomeis Werk sowohl auf Englisch als auch auf Russisch vor.[9] Es wurde aber so gut wie nicht benutzt, obwohl die Sigle von Ledkovsky und ihren beiden Mitarbeiterinnen regelmäßig angegeben wird und innerhalb der 747 Autoren und Autorinnen, die ich einbezogen habe, neunzig Prozent der von Tomei ausgewählten Schriftstellerinnen erfaßt sind. Die sieben aus dem 20. Jahrhundert, die von Tomei zusätzlich aufgenommen wurden, bestätigen die Qualität ihrer Auswahl.

Gleichzeitig erschien der von Neil Cornwell herausgegebene Reference guide to Russian literature.[10] Er konnte also noch nicht berücksichtigt werden. Bei Cornwell betreffen von den 273 Artikeln 42 russische Schriftstellerinnen. 37 davon befinden sich unter den 71 bei Tomei. Eine parallele Nutzung ist durchaus zu empfehlen. Verwiesen sei auch auf die Edition von Kay Borowsky von 1993, die zu 19 der von Tomei einbezogenen Lyrikerinnen Gedichte in seinen Nachdichtungen enthält.[11] Seiner Auswahl guter Gedichte von 47 russischen Dichterinnen hat er einen lexikalischen Anhang beigefügt, so daß dieser Band auch insgesamt eine lohnende Ergänzung der amerikanischen Edition darstellt. Sehr nützlich ist auch die Verzettelung russischer Zeitschriften (1975 - 1995) von Christina Parnell und Carolin Heyder (Primär- und Sekundärliteratur).[12]

Das Dictionary of Russian women writers von 1994 wird in vielen Bibliotheken vorhanden sein, sonst ist eine Anschaffung dringend zu empfehlen. Die neue Anthologie Russian women writers hat zwar nicht denselben Handbuchcharakter, aber ihr Besitz ist wegen der guten Auswahl, vieler eigenständiger Darstellungen und der Beispieltexte ebenfalls ein Gewinn für jede von Slavisten benutzte Bibliothek. Borowskys Anthologie rundet in Deutschland den Bereich der Handbücher zu russischen Schriftstellerinnen ab. Beide Editionen sind wichtige Beiträge zur Forschung dieses Bereichs, die dabei ist, eine erhebliche Lücke in den Literaturgeschichten zu schließen.

Wolfgang Kasack


[1]
Bibliographie der russischen Autoren und anonymen Werke / Günther Wytrzens. - Frankfurt : Klostermann. - (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie : Sonderh.) [0904]. - [Grundwerk]. - 1975. - XV, 267 S. - (... ; 19). - DM 65.00, DM 58.50 (Serienpr.). - Rez.: ABUN in ZfBB 22 (1975),3, S. 237 - 239. - 1975/80 (1982). - X, 202 S. - (... ; 37). - ISBN 3-465-01546-0 (kart.) : DM 68.00, DM 61.20 (Serienpr.). - Rez.: ABUN in ZfBB 30 (1983),1, S. 54. - Ich habe es 1976 von dort übernommen. (zurück)
[2]
Vgl. den Offenen Brief von Veniamin Kaverin vom 20.3.1973. Nachdruck dieses Dokuments in: Literaturnyj evropeec. - Frankfurt am Main. - 3 (1998), S. 37 - 38. Diese neue Zeitschrift der russischen, in Deutschland lebenden Emigranten bringt neben dem Einblick in deren Schaffen regelmäßig derartige Dokumentationen. (ISSN 1437-045X. - Postfach 800833, 65929 Frankfurt am Main). Eine ausführliche Vorstellung der Zeitschrift in Osteuropa. - 2000,3. S. 300 - 303. (zurück)
[3] Women writers in Russian literature / ed. by Toby W. Clyman and Diana Green. - Westport, Conn. ; London : Greenwood Press, 1994. - XVII, 273 S. - (Contributions to the study of world literature ; 53). (zurück)
[4]
A history of Russian women's writing, 1820 - 1992 / Catriona Kelly. - Oxford : Clarendon Press, 1994. - XII, 497 S. - ISBN 0-19-815872-6. - Seit 1998 auch als Paperback: ISBN 0-19-815964-1. (zurück)
[5]
Handbook of Russian literature / ed. by Victor Terras. - New Haven ; London : Yale University Press, 1985. - XIX, 558 S. ; 29 cm. - ISBN 0-300-03155-6 : $ 30.00 [0166]. - Rez.: ABUN in ZfBB 33 (1986),1, S. 34 - 35. (zurück)
[6]
Vgl. Russia abroad : writers, history, politics / by John Glad. Foreword by Victor Terras. - Tenafly, NJ : Hermitage Publishers ; Washington, DC : Birchbark Press, 1999. - 739 S. ; 22 cm. - ISBN 1-55779-115-5 (Hermitage Pr.) : $ 59.90 [5592]. - Rez.: IFB 99-1/4-215. (zurück)
[7]
Women in Soviet fiction 1917 - 1964 / Xenia Gasiorowska. - Madison, Wis. : University of Wisconsin Press, 1968. - XII, 288 S. (zurück)
[8]
Handbook of Russian literature / ed. by Victor Terras (s.o.), S. 519 - 522. (zurück)
[9]
Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts : vom Beginn des Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetära / Wolfgang Kasack. - 2., neu bearb. und wesentlich erw. Aufl. - München : Sagner, 1992. - XVIII S., 1508 Sp. ; 20 cm. - (Arbeiten und Texte zur Slavistik ; 52). - ISBN 3-87690-459-5 : DM 98.00 [1418]. - Rez.: ABUN in ZfBB 39 (1992),6, S. 542 - 543. - Dazu jetzt:
Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts : bibliographische und biographische Ergänzung / Wolfgang Kasack. - München : Sagner, 2000. - 88 S. ; 20 cm. - (Arbeiten und Texte zur Slavistik ; 68). - ISBN 3-87690-716-6 : DM 22.00. - In dem Ergänzungsband werden sämtliche Erwähnungen in den beiden hier besprochenen Lexika und in weiteren seit 1992 erschienenen Nachschlagewerken bei den einzelnen Autoren genannt. - S.o. IFB 00-1/4-212. (zurück)
[10]
Reference guide to Russian literature / ed. Neil Cornwell. - 1. publ. - London ; Chicago : Fitzroy Dearborn, 1998. - XL, 729 S. ; 29 cm. - ISBN 1-884964-10-9 : œ 95.00 [4741]. - Rez.: IFB 98-3/4-252. (zurück)
[11]
Und nun ist das Wort aus Stein gefallen : russische Lyrikerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts / ausgewählt, übertragen und hrsg. von Kay Borowsky. - Orig.-Ausg. - Frankfurt am Main : Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1993. - 360 S. - (Fischer-Taschenbücher ; 11622). - ISBN 3-596-11622-8 : (vergr.). - Vgl. W. Kasack, in: Osteuropa. - 44 (1994),3, S. 287 - 288. (zurück)
[12]
Russische Prosaautorinnen 1975 - 1995 : Bibliographie russischsprachiger Zeitschriftenveröffentlichungen / Christina Parnell ; Carolin Heyder. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 1997. - 212 S. ; 21 cm. - ISBN 3-631-30917-1 : DM 65.00 [4377]. - Rez.: IFB 97-3/4-345. (zurück)

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