Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Augsburger Brecht-Lexikon


00-1/4-176
Augsburger Brecht-Lexikon : Personen, Institutionen, Schauplätze / Jürgen Hillesheim. - Würzburg : Königshausen & Neumann, 2000. - 192 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 3-8260-1276-3 : DM 39.80
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Hillesheim lehnt sich zwar an den "Klassiker" der Brecht-Literatur, das zuerst 1975, dann 1997 in erweiteter Fassung als Taschenbuch erschienene Kompendium Brecht in Augsburg[1] an, will dessen Informationen jedoch anhand der inzwischen neu aufgetauchten Quellen (Briefe, Tagebücher, nachgelassene Schriften usw.) ergänzen und überbieten und mit seinem neuen Lexikon ein vollständigeres Bild von Brechts Kindheit und Jugend von seiner Geburt bis zur endgültigen Übersiedlung nach Berlin im Jahre 1924 vorlegen.

Die über 150 Artikel sollen zusammen mit der Einleitung und einer Reihe von meist erstmals veröffentlichten Schwarz-Weiß-Abbildungen am Schluß des Bandes dem Ziel dienen, "das Umfeld des jungen Brechts, seine Freunde, Freundinnen, literarischen Vorbilder und andere für Brecht bedeutsame Personen, Beziehungen, Kontakte, Querverbindungen [...] darzustellen".

Der neue Ansatz des Lexikons besteht - so der Verfasser - darin, daß es "auf jegliche Art von Werkinterpretation" verzichtet, rein biographisch ausgerichtet ist und nicht nur über die vorhandene Literatur informiert, sondern auch über die verschiedenen Maßnahmen, die in Augsburg öffentlich oder privat zur Würdigung dieses berühmten Sohnes der Stadt verwirklicht worden sind, z.B. die Errichtung einer Gedenkstätte in Brechts Elternhaus, die Erwerbung von Nachlaß-Materialien durch die Staats- und Stadtbibliothek, die Begründung eines Brecht-Preises u.a.m. Denn nicht nur über "Brecht und Augsburg" wird berichtet, sondern auch vice versa über "Augsburg und Brecht".

Die Grundlinien der Brecht-Rezeption und ihr Echo in der Heimatstadt des Schriftstellers werden in einem - nicht sonderlich elegant geschriebenen - Vorwort zusammengefaßt: von der Distanz, die man verständlicherweise in den Jahren des sogenannten "Kalten Kriegs" gegenüber dem politisch links engagierten "Stückeschreiber" bewahrte, bis zu den ersten Zeichen einer Brecht-Renaissance in den späten sechziger Jahren, der wiederum eine lange Phase der Lethargie folgte, aus der die Stadt Ende der achtziger Jahre, nach der "Wende", wieder erwachte, um sich seitdem besonders eifrig dem Andenken Brechts zu widmen, nicht selten gar übereifrig und hart an der Grenze zur unkritischen Hagiographie. Solche Gedächtnispflege sei zwar einerseits durchaus verdienstvoll, begünstige aber andererseits eine Tendenz, aus Brecht einen rein literarischen Klassiker zu machen und darüber seinen sozialistischen Einsatz zu verschweigen, kurz: ihn selbst gegen seine eigenen Intentionen zum Konsumprodukt herabzuwürdigen.

Unter den neuen Quellen, aus denen er schöpfen konnte, hebt Hillesheim die Schülerzeitung Die Ernte als besonders wichtig hervor, die Brecht in den Jahren herausbrachte, in denen er das Augsburger Realgymnasium besuchte. Die Hefte dieser Zeitung, die inzwischen gesammelt und gedruckt vorliegen, seien ein frühes Zeugnis für das ästhetische Vermögen des künftigen Dramatikers, Lyrikers und Prosaisten. In Brechts Jugendjahren steckt nach Hillesheim in nuce seine ganze menschliche und literarische Entwicklung; sie seien nämlich durch enge Zusammenarbeit mit seinen Freunden geprägt, die - von Anfang an kultur- und gesellschaftskritisch orientiert - den später entwickelten Begriff des "Kollektivs" vorwegnehme. Charakteristisch für den Heranwachsenden sei auch sein nüchterner Vorsatz gewesen, "Karriere" als Dichter zu machen und hartnäckig bis zum Erfolg daran zu arbeiten, ferner seine hemmungslose Bereitschaft, sich gleichzeitig in verschiedene Liebesverhältnisse zu verstricken.

Das Lexikon will "all das Wissenswerte über 'Brecht und Augsburg - Augsburg und Brecht' so übersichtlich wie möglich" ordnen und "einen raschen Zugriff zu einzelnen Aspekten" gewähren, wobei "sich gewisse Redundanzen nicht vermeiden lassen": Letzteres wird bei solchen Eintragungen besonders offenkundig - und wirkt zugleich irritierend -, in denen bekannte Autoren behandelt werden, die Brechts Schaffen beeinflußt haben. Sind kurze Biographien von Schriftstellern wie Heine, Hauptmann, Wedekind u.a.m. in einem Brecht-Lexikon wirklich notwendig? Oder müßten sie sich nicht auf neue Details zum Verhältnis dritter Personen zu Brecht beschränken?

Gabriella Rovagnati


[1]
Brecht in Augsburg : Erinnerungen, Dokumente, Fotos / Werner Frisch ; K. W. Obermeier. - 1. Aufl. - Berlin : Aufbau-Taschenbuch-Verlag, 1997. - 283 S. : Ill. - (AtV ; 8027). - ISBN 3-7466-8027-1 : DM 19.90 (zurück)

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