Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
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Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen


00-1/4-142
Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen / John Bowker (Hrsg.). Für die deutschsprachige Ausg. übersetzt und bearb. von Karl-Heinz Golzio. - Düsseldorf : Patmos, 1999. - XXVI, 1553 S. ; 25 cm. - Einheitssacht.: The Oxford dictionary of world religions <dt.>. - ISBN 3-491-72406-6 : DM 128.00, DM 98.00 (Subskr.-Pr. bis 30.09.2000)
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Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Wenn man sich z.B. über Friedrich Heiler informieren will, kann man auch einen schönen Artikel in der deutschen Ausgabe des Oxford dictionary of world religions[1] finden. Mit großen Erwartungen nimmt man diese Übersetzung in die Hand, hat man hier doch den Versuch unternommen, ein relativ neues (1997) und ausgezeichnetes Standardwerk in deutscher Bearbeitung vorzulegen. So ist auch zu erklären, daß die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, sogleich eine Lizenzausgabe[2] herausgebracht hat. Es ist bei Lexika immer wichtig, von den Stärken auszugehen. Sie liegen eindeutig in den weiten Informationen über religionsgeschichtliche Phänomene, die man in einbändigen Lexika in solcher Fülle wohl sonst nicht findet - gegenüber den vorgenannten Bänden ist schon der rein quantitative Umfang erheblich größer. Angesprochen wird hier stärker ein akademisch-wissenschaftlich interessiertes Publikum. Ein Beispiel: Die Artikel zum Buddhismus reichen von S. 168 - 177, darunter neben der Grundinformation Buddhismus in China, Großbritannien, Japan, Korea, Südostasien als eigene Artikel neben Buddhistische Schriften und Buddhistische Schulen. Dazu kommt die Fülle eigener Artikel wie Mahayana, Mahayanasraddhotpada-Sastra - das ließe sich leicht fortsetzen -, und zu Personen des Buddhismus. In diesen Bereichen ist das Lexikon unbedingt der Spitzenklasse von Nachschlagewerken zuzurechnen. Gegenüber der Heilerschen Darstellung fällt die Vielfalt von Phänomenen auf, die in einer solchen "klassischen" Darstellung nicht vorkommen: Gurus, neue religiöse Bewegungen, Phänomene der Dritten Welt, Techniken der Meditation, des religiösen Tanzes und vieles andere mehr. Das Werk ist in dieser Hinsicht m.E. schon in kleineren Bibliotheken unverzichtbar, die religionsgeschichtliche Grundinformationen bieten.

Trotz dieser zweifellos äußerst positiv zu wertenden Gegebenheiten muß man leider auf viele nicht unerhebliche Probleme der deutschen Ausgabe hinweisen: Zunächst gibt es Fehler der Übersetzung oder der Namensformen (Anglismen): z.B. Bellarmine, Robert St.; H. U. v. Balthasar studierte hier in Lyons - statt in Lyon ... Religionslose Christenheit mag es geben, bei Bonhoeffer muß es aber "religionsloses Christentum" heißen. Die Liturgie-Bewegung hieße gängiger "Liturgische Bewegung". Die Rückübersetzung von Buchtiteln führt zum Teil zu irreführenden Angaben. Rahners Theological investigations sind keine Theologische[n] Untersuchungen, sondern seine Schriften zur Theologie; Barths Church dogmatics ist als Kirchliche Dogmatik, nicht als Kirchendogmatik anzugeben; die Übersetzungen der Werke Augustins in der Bibliothek der nicäischen und postnicäischen [nebenbei: besser nicänischen] Väter sind die englischen (!) Übersetzungen in den Nicene and post-nicene fathers, eine Übersetzungsreihe vom Beginn des letzten Jahrhunderts (wo doch wahrlich viele deutsche Übersetzungen vorliegen und zumindest der Hinweis auf BKV nahegelegen hätte, wenn man schon die ebenfalls höchst altmodischen englischen Versionen implizit nennt). Auch liturgische Texte sollte man besser in den offiziellen Übersetzungen zitieren (Sanctus; dann wäre auch das Hosanna mit dem entsprechenden Artikel konform; umgekehrt kann man dem Sanctus-Text entnehmen, daß das Hosanna nicht dem Sanctus folgt, sondern Teil desselben ist). Das hat auch Auswirkungen auf den Nomenklator, wie schon bei Bellarmine ersichtlich. Z.B. gibt es einen Artikel Hymnen, wenn man aber das dort weitgehend vergessene deutsche Kirchenlied anderswo sucht, wird man auch nicht fündig. Die Information "In allen Teilen der Römisch-katholischen Kirche gab es im Gottesdienst eine Welle von Liedern in einheimischen Sprachen und von religiösen Gesängen, die von der Gitarre begleitet werden, insbesondere seit dem *Vaticanum II" ist eine höchst zweifelhafte Verkürzung angesichts des Fehlenden. Dafür gibt es einen Lobgesang-Artikel, in dem auch der Sonnengesang genannt wird. Hier hätte man wohl weiter vom englischen Nomenklator zu sinnvollen Zusammenfassungen abweichen müssen. Emil Brunner als "Heinrich Emil" zitiert macht die Suche nach seinen Werken in Katalogen schwierig. Kaum auffindbar wird der Erste Zusatzartikel sein - First amendment wäre wohl richtiger und im Grunde auch leichter zu suchen. Abendgebet sollte man nicht gleich breit mit der anglikanischen (!) Liturgie deuten (was bei Evening prayer or Evensong ja stimmen mag!). Die Frage nach dem historischen Jesus ist "post Bultmann locutum" nicht erst von J. M. Robinson gestellt. Das sind alles englische Sichtweisen. Andere Stichwörter vermißt man. Kulturrelativität und Religion ist enthalten, die vieldiskutierte "plurale Religionstheorie" würde man auch gern finden. Ein Artikel Venite scheint mir ebenso überflüssig wie Rotangestrichener Tag. Das nachgestellte "St." bei Heiligen ist m.E. wenig sinnvoll. Bei Benedikt, St. z.B. wäre der Zusatz "von Nursia" wichtig, um ihn von anderen heiligen und nicht-heilig(gesprochen)en Benedicti zu unterscheiden. Bei Hippolyt hätte man gern "von Rom" statt "St." Hier wäre mehr Abgleich mit gängigen Nachschlagewerken oder Normdateien von Nutzen gewesen. Die englische Ausrichtung des Werks kann man der Originalausgabe nicht vorwerfen. Daß Thomas Tallis einen Artikel mit einem Hinweis auf sein grandioses Spem in alium erhält, ist schön. Aber darf dann ein Artikel zu J. S. Bach fehlen und stattdessen nur ein Hinweis auf den Artikel Musik folgen, in dem wiederum nur steht "Noch aufsehenerregender [als die "erstaunlichen Leistungen von Heinrich Schütz"] war die Entwicklung des Oratoriums von J. S. Bach (1685 - 1750): Obwohl seine Matthäuspassion und seine Johannespassion für die Aufführung in Kirchen geschrieben worden waren, können sie auch zu anderen Anlässen, sogar bei Konzertaufführungen, religiöse Gefühle hervorrufen. 'Bach hat mich beinahe davon überzeugt, ein Christ zu sein' (Roger Fry)" - so schön Gefühle sein mögen: die Geschichte des Oratoriums ist wahrlich einen Satz mehr wert, und über die Folgezeit erfährt man nur "Wenn die Musik sich auch seit diesen Tagen stärker von der Kirche entfernt hat, gab und gibt es dennoch viele Komponisten hauptsächlich christlicher Musik". Wenn dann gar fortgefahren wird "Aber in der Kirche wurde während dieses ganzen Zeitraums ebenfalls die frühe griechische Sitte des *Hymnensingens entwickelt ..." ist die Grenze des Zumutbaren doch überschritten. Unter Existentialismus wird man darüber informiert, daß dieser "mehr eine weitverbreitete 'Laune' als eine vereinte Bewegung oder 'Schule' des Denkens" sei. Zu den führenden Vertretern wird natürlich wieder einmal Heidegger gezählt. Daß auch noch Merleau-Ponty diese Laune gehabt haben soll oder schon Rilke und Kafka, wirkt auch nicht erhellend. Es ist bestenfalls ein Vorurteil über "kontinentales Denken". Da es einen ausführlicheren Artikel Phänomenologie gibt, hätte man hier zumindest für Heidegger einen Hinweis erwartet; im Artikel Hermeneutik taucht nur sein Name bei der Darstellung Gadamers auf. Das ist schlicht unausgewogen. Viele kirchenrechtliche Termini werden aus dem englischen Sprachgebrauch erklärt (z.B. der Dechant - daß man Dean übersetzt, mag angehen, aber sollte man nicht wenigstens das Original dann in Klammern beifügen?). Anderes (Ex opere operato nach einer korrekten Sacherläuterung) wird zu sehr auf die anglikanische Tradition bezogen, statt den umfassenderen historischen Zusammenhang anzudeuten. Inzwischen gängige Termini wie "Pluralistische Religionstheologie" fehlen; bei Küng, Hans erfährt man über seine Aktivitäten der letzten Jahre ("Weltethos") nichts mehr. Daß die Literatur nicht ausreichend überarbeitet und durch deutsche Standardwerke mindestens ergänzt wurde, mag "ehrlich" sein. Aber wenn "G. von Rad Genesis (übers.: 1961)" angegeben wird, ist man verblüfft - es ist wohl die Übersetzung von Das erste Buch Mose ins Englische gemeint. Dem deutschen Leser hätte zudem neben der englischen Ausgabe des gewiß wichtigen Kommentars von Rads neuere deutsche Kommentare, zumindest das Monumentalwerk von C. Westermann, genannt werden müssen. Selbst wenn epochemachende deutsche Titel vorliegen (Ex oriente lux), fehlen diese. Die Beispiele sind alle aus dem christlichen Bereich genommen worden. Der deutsche Bearbeiter ist Indologe. Aber er hätte diesen Teil überprüfen lassen müssen. Die Beispiele sind zudem eher formaler Art. Sie ließen sich inhaltlich fortsetzen: Was meint bei H. U. v. Balthasar: "Sein Bewußtsein der transzendenten Form menschlicher Religiosität blieb mechanisch"? Auch wenn man die systematische Intention vielleicht verstehen kann, ist die Aussage, daß bei dem doch grandiosen Religionshistoriker Bultmann "kein Zweifel [!] an dem Mangel an einer konsequenten Historiographie bestehen" kann, doch wohl zu beliebig. Einzelheiten in Lexika zu kritisieren ist immer mißlich. Doch kommt hier zu viel zusammen, als daß man von der üblichen, notwendigerweise zu tolerierenden Fehlerquote eines Lexikons sprechen könnte, die jeder versteht, der schon einmal einen Lexikonartikel unter dem Zwang der Komprimierung, dem Druck von Verlagen und vielleicht noch anderer Unbill geschrieben hat.

Der Eindruck des Rezensenten ist gespalten. Das Lexikon hat wirklich viele Vorzüge, aber selten habe ich so viele formale und inhaltliche Probleme bei einem Werk dieses Niveaus gefunden. Kurz: Das Lexikon hätte gewonnen, wenn man die starke englische Ausrichtung entweder beschnitten oder entsprechend ergänzt hätte. Dafür hätte man den Nomenclator überarbeiten müssen; zumindest wäre aber in vielen Fällen ein Terminologievergleich mit entsprechenden deutschsprachigen Werken nötig gewesen. Unverzichtbar für den deutschen Leser sind Hinweise auf die deutsche Standardliteratur. Die "klassischen" englischen Vorurteile (Existentialismus) hätte man durch sachlichere Information ersetzen müssen. Streicht man diese Dinge weg - weil man noch andere Informationsquellen hat - so ist das Werk in den anderen Bereichen immer noch außerordentlich nützlich. Es wäre aber m.E. relativ leicht ein höherer Grad an Vollkommenheit erreichbar gewesen. Vielleicht wirkt sich hier der Abbau der klassischen Verlagslektorate aus: Gerade in einem theologischen Verlag, wie Patmos es einmal war, hatten früher Fachleute in Lektoraten Zeit, solche Dinge auszubügeln bzw. ausbügeln zu lassen. Die Kenntnisse haben sie mit Sicherheit auch heute noch! Es ist schade, daß die Mängel das in vielem ausgezeichnete Werk doch erheblich beeinträchtigen. Aufmachung und Ausstattung des Buches sind im übrigen sehr gut. Die angesprochenen Mängel des Werk sind wirklich bedauerlich, aber leider nicht zu leugnen.

Albert Raffelt


[1]
The Oxford dictionary of world religions / ed. by John Bowker. - Oxford : Oxford University Press, 1997. - XXIV, 1111 S. - ISBN 0-19-213965-7 : œ 30.00. - Seit 1999 auch als Paperback lieferbar: ISBN 0-19-866242-4 : œ 15.99. (zurück)
[2]
Bestell-Nr. B 14456-2 : DM 78.00. (zurück)

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