Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

"Säuberung der Büchereien" [Computerdatei]


00-1/4-021
"Säuberung der Büchereien" [Computerdatei] : Katalog der gem. Kontrollratsbefehl Nr. 4 ab 1947 in Nordrhein-Westfalen eingezogenen politisch unerwünschten Literatur ; Rekonstruktion des in den Jahren 1948 bis 1951 entstandenen Kataloges und aktuelle Nachweise der Bestände = Purging the libraries / im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes an der Universität Bielefeld hrsg. von Norbert Hopster, Dirk Thies und der Universitätsbibliothek. - Osnabrück : Zeller, 1997. - 1 CD-ROM + 2 Beil. (58, 60 S.). - ISBN 3-89186-021-8 : DM 980.00
[6046]

Hintergrund

Zum Verständnis des Projektes soll kurz der historische Hintergrund skizziert werden.[1] Der Kontrollrats-Befehl Nr. 4 vom 13. Mai 1946 sah vor, daß Bibliotheken, Buchhandlungen, Verlage, etc. "... Innerhalb von zwei Monaten ... a) Alle Bücher, Flugschriften, Zeitungssammlungen, Alben, Manuskripte, Urkunden, Landkarten, Pläne, Gesang- und Musikbücher, Filme und Lichtbilddarstellungen (Diapositive) - auch solche für Kinder jeglichen Alters - , welche nationalsozialistische Propaganda, Rassenlehre und Aufreizung zu Gewalttätigkeiten oder gegen die Vereinten Nationen gerichtete Propaganda enthalten; b) alles Material, das zur militärischen Ausbildung und Erziehung oder zur Aufrechterhaltung und Entwicklung eines Kriegspotentials beiträgt, einschließlich der Schulbücher und des Unterrichtsmaterials militärischer Erziehungsanstalten jeder Art, ebenso alle Reglements, Instruktionen, Anweisungen, Vorschriften, Landkarten, Skizzen, Pläne usw. für alle Truppeneinheiten und Waffengattungen ..." an die Militärbefehlshaber oder sonstigen Vertreter der Alliierten Behörden abzuliefern hatten, damit dieses Material vernichtet werden sollte.[2] Nach Einwänden und Protesten von bibliothekarischer Seite wurde der Befehl dahingehend abgewandelt, "... eine begrenzte Anzahl von Exemplaren der ... verbotenen Schriften für Forschungs- und Studienzwecke von der Vernichtung" auszunehmen. "Diese Schriften sind in besonderen Räumlichkeiten aufzubewahren, wo sie, jedoch unter strenger Aufsicht der Alliierten Kontrollbehörden, von deutschen Wissenschaftlern und anderen Deutschen, die die entsprechende Erlaubnis von den Alliierten erhalten haben, eingesehen werden können."[3] Auf Grund der Abänderung des Befehls wurde in Nordrhein-Westfalen ein Englisch-Deutscher Landesausschuß zur Ausmerzung nationalsozialistischer und militärischer Literatur gegründet, der die weitere Verfahrensweise zu klären hatte. Dieser Ausschuß bestimmte 18 Bibliotheken, die die auszusondernde Literatur aufnehmen sollten (die Universitätsbibliotheken in Bonn, Köln, Münster, die Bibliothek der Technischen Hochschule Aachen, die Stadt- und Landesbibliotheken in Detmold, Dortmund und Düsseldorf sowie die Stadtbüchereien in Bielefeld, Bochum, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Krefeld, Mönchengladbach, Mühlheim/Ruhr, Solingen und Wuppertal). In einem Umlauf-Katalog sollte dann (seit 1948) die forschungsrelevante Literatur verzeichnet und schließlich von der UB Köln in den nordrheinwestfälischen Zentralkatalog aufgenommen werden. Bevor jedoch dieser Katalog endgültig fertiggestellt war, lief das Katalogisierungsverfahren 1951 aus, ohne daß ein NS-Gesamtkatalog zustande kam.[4] 1986 fand Dirk Thies das Katalogfragment (über 20.000 Titelkarten) im Keller der Universitätsbibliothek Köln - die Fundumstände bleiben jedoch unklar. In einem Gemeinschaftsprojekt der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft und der Universitätsbibliothek Bielefeld unter der Leitung von Thies wurde auf Grundlage dieser Katalogkarten der Katalog der eingezogenen politisch unerwünschten Literatur erstellt.

Die Datenbank

Glücklicherweise hat man sich beim Retrieval-System für eine bekannte und bewährte Oberfläche[5] entschieden und keine Eigenlösung fabriziert, so daß zu den Recherche- und Export-Möglichkeiten nicht viel gesagt werden muß, da sie von anderen CD-ROM-Produkten bekannt sind (IBZ, IBR, WISO-Datenbanken). Die erweiterte Spezialsuchmaske bietet Suchmöglichkeiten nach: Titel-Stichwort; Autor, Herausgeber, etc.; Körperschafts-Stichwort; Körperschaftsname; Titel; Serien-Stichwort; Wort im Autorennamen; Erscheinungsjahr; Standort; Schlagwort. Die Titelaufnahmen wurden nach RAK-WB angefertigt, jedoch nicht immer nach Autopsie.[6] Unterhalb der Titelaufnahme erscheinen die Bestandsangaben, sofern noch welche zu ermitteln waren. Eine sachliche Suche ist nur über das Suchfeld Schlagwort möglich. Die Grundlage für die Schlagwortsuche bildet eine "Liste, die bei Beginn der Erfassung in der Bielefelder Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft zusammengestellt wurde. Zu jedem Titel wurden ein bis mehrere Schlagwörter vergeben."[7] Über die Index-Funktion kann diese Liste offengelegt werden. Sie enthält 1111 Einzelschlagwörter und Schlagwortketten, wobei letztere aus zwei bis maximal vier Schlagwörtern bestehen, Einzelschlagwörter überwiegen jedoch. Die Schlagwörter aus den Ketten sind noch einmal verstichwortet, so daß sie auch in einer postkombinierten Suche mit Booleschen Operatoren suchbar sind. Mißlich ist, daß die Schlagwörter nirgendwo bei der Titelaufnahme erscheinen, so daß man keine weiteren Anregungen für die Suche erhält.

Zum quantitativen Umfang des Projektes noch einige Zahlen. Bis zum 1. März 1948 hatte man in den Depot-Bibliotheken nachweislich ca. 200.000 Bücher angesammelt. Thies schätzt, daß es "gegen Ende der Sammelphase ... zwischen 230.000 oder 250.000 gewesen sein" (Thies, S. 196) dürften. Nach der Selektion des forschungsrelevanten Materials seien noch 100.000 Bücher übriggeblieben (Thies, S. 197). Vom Katalogfragment konnten "über 20.000 Titelkarten" (Thies, S. 198) wiedergefunden werden, und die CD-ROM schließlich "enthält 26.309 ... Titel- und Bestandsangaben",[8] also etwas mehr als 25 % dessen, was damals als forschungsrelevante Literatur erachtet wurde. Die Diskrepanz zwischen den 20.000 Titelkarten und 26.309 Titelangaben wird von Thies nicht erläutert. Laut einer Mitteilung des Hochschulbibliothekszentrums vom 1. März 1999 sind die Daten der CD-ROM in die HBZ-Datenbank eingespielt worden.[9] Durch diese Einspielung der Daten ist über die HBZ-R-Datenbank im WWW ein weltweiter Zugriff gewährleistet und macht für rein formale Suchen die Anschaffung der CD-ROM überflüssig. In der HBZ-Datenbank findet man zudem noch weitere Ausgaben bestimmter Werke, die auf der CD-ROM nicht verzeichnet sind.[10] Der Vorteil der CD-ROM gegenüber der HBZ-Datenbank liegt nur noch in der Möglichkeit der sachlichen Suche, was aber nicht unterschätzt werden sollte, da eine vollständige Re-Verschlagwortung der Titel in der HBZ-Datenbank nicht zu erwarten ist. Man kann davon ausgehen, daß in vielen (nordrhein-westfälischen) Bibliotheken noch Bestände lagern, die seinerzeit im NS-Gesamtkatalog Aufnahme gefunden hätten. Durch Re-Katalogisierungsmaßnahmen in den nächsten Jahren, werden auch diese Bestände in diversen Datenbanken zugänglich sein, ohne daß man sich immer der bibliothekshistorischen Bedeutung bewußt sein wird. Das Verdienst von Dirk Thies und seinen Mitarbeitern liegt vor allem darin, auf diesen Umstand hingewiesen und das ihm zur Verfügung stehende Material auf der CD-ROM in komprimierter Form zugänglich gemacht zu haben. "Der Katalog ist somit zum einen als ein einmaliges Dokument für die Literaturpolitik der Alliierten im Nachkriegs-Deutschland von Bedeutung, und er ist ebenso ein in vergleichbarer Form bislang nicht existierendes Hilfsmittel zur Rekonstruktion und Erforschung der während der Zeit des "Dritten Reiches" in Bibliotheken vorhandenden Buchbestände; zum anderen ist er aber auch ein signifikantes Abbild des NS-Systems selbst, gerade weil in ihm Texte, Quellen und Materialien aus einer Vielzahl von Bereichen und Institutionen zusammengeflossen sind."[11]

Kai Heßling


[1]
Ausführlich vgl. Zum Erbe des Nationalsozialismus in Bibliotheken Nordrhein-Westfalens / Dirk Thies. // In: Mitteilungsblatt / Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen. - 38 (1988), S. 190 - 204. (zurück)
[2]
Journal officiel du Conseil de Contrôle en Allemagne / Secrétariat Allié. - Berlin. - Amtsblatt Nr. 7, 31. Mai 1946, 46. Befehl Nr. 4: Einziehung von Literatur und Werken nationalsozialistischen und militärischen Charakters, 13. Mai 1946, S. 151 - 152. (zurück)
[3]
Journal officiel du Conseil de Contrôle en Allemagne / Secrétariat Allié. - Berlin. - Amtsblatt Nr. 10, 31. August 1946, 75. Abänderung des Befehls Nr. 4 Einziehung von Literatur und Werken nationalsozialistischen und militärischen Charakters, 10. August 1946, S. 172. (zurück)
[4]
Zu den Gründen, die zur Aufgabe des Katalogisierungsverfahrens führten kann Thies auch nur Spekulationen anstellen (Thies S. 198 - 199). (zurück)
[5]
Bei dem Retrieval-System handelt es sich um CD-Answer Retrieval Software (Version 3.32) von Dataware Technologies. Systemvoraussetzungen: IBM kompatibler PC (AT 286 oder höher), Betriebssystem MS-DOS 3.0 oder höher, Arbeitsspeicher von mindestens 640 KB (davon 512 KB unbelegt), CD-ROM-Laufwerk. Laut Benutzerhandbuch ist die CD-ROM auch netzwerkfähig. Getestet wurde die CD-ROM auf einem Notebook Pentium II, 166 MHZ, 32 MB Arbeitsspeicher, 1,4 GB Festplatte, 20fach CD-ROM-Laufwerk, Betriebssystem Windows 95 B. Die Installation als Einzelplatzversion verläuft zwar ohne Probleme, doch stürzte die CD nach einigen Recherchen mehrfach ab, was vielleicht auch nur ein Problem des Rezensions-Exemplars war. (zurück)
[6]
Schriftliche Mitteilung von Dirk Thies vom 27.2.2000. (zurück)
[7]
Benutzerhinweise, S. 32. (zurück)
[8]
Benutzerhinweise, S. 25. (zurück)
[9] "HBZ-Mailbox: Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einem von der DFG geförderten Projekt sind durch die Universität und die UB Bielefeld die Daten des seinerzeit von den Militärbehörden in NRW initiierten Katalogs der ausgesonderten nationalsozialistischen und militärischen Literatur erschlossen und auf CD-ROM veröffentlicht worden. Diese für die historische Forschung wichtigen Bestände, insgesamt ca. 26.000 Titel, sind jetzt auch in die Verbunddatenbank übernommen worden. Die Übernahme erfolgte in Absprache mit den Bibliotheken, von denen die Bestände im Katalog der ausgesonderten NS-Literatur verzeichnet sind. Die Titeldaten sind gekennzeichnet duch Kat. 015: NS <laufende Nr.> Stücktitel sind mit einer Dummy-Serie NSZK:GESAMTTITELVERKNÜPFUNG verknüpft worden. Die richtige Verknüpfung kann jederzeit von Ihnen vorgenommen werden. Die bei der Einspielung neu angelegten PND-Sätze und Körperschaften sind protokolliert und werden z.Zt. vom Team Normdaten geprüft. Mit freundlichen Grüßen, HBZ / M. Polednik, 1.3.99." Eine Suche in der HBZ-Datenbank mit dem Suchaspekt ft 010:ns> ergibt 26.378 Treffer. Nach jetzigem Stand wird die Kategorie 015 nicht migriert. ALEPH erlaubt jedoch eine Suche über das Selektionskennzeichen nszk, auch in Kombination mit einer bestimmten Bibliothek. (zurück)
[10]
Siehe z.B. die unterschiedlichen Ausgaben von Das Licht aus dem Norden / Kurt Pastenaci. (zurück)
[11]
Benutzerhinweise, S. 10. (zurück)

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