Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
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Der handschriftliche Nachlass Georg Wilhelm Friedrich


00-1/4-124
Der handschriftliche Nachlass Georg Wilhelm Friedrich Hegels und die Hegel-Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1995. - 29 cm. - (Kataloge der Handschriftenabteilung / Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz : Reihe 2, Nachlässe ; 4). - ISBN 3-447-03633-8 : DM 398.00
[3268]
Teil 1. Katalog / beschrieben von Eva Ziesche. - 1995. - 345 S.
Teil 2. Die Papiere und Wasserzeichen der Hegel-Manuskripte : analytische Untersuchungen / von Eva Ziesche und Dierk Schnitger. - 1995. - 100 S. ; Ill.

Hegelforscher kennen die Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) als Ort der größten Nachlaßsammlung Hegels. Obwohl Verzeichnisse in verschiedenen wissenschaftlichen Aufsätzen und in Gestalt von Katalogen der SBB existieren, repräsentiert das vorliegende Werk das erste vollständige gedruckte Inventar des Hegel-Nachlasses in der SBB. Die Bedeutung dieses Katalogs kann man an der Tatsache ermessen, daß es bereits kurz nach seiner Veröffentlichung von einem der wichtigsten Hegelforscher, Friedhelm Nicolin, rezensiert wurde.[1]

Der Katalog zeichnet sich durch seine große Sorgfalt und Ausführlichkeit aus; die beiden als Einheit zu betrachtenden Teile stellen in der Tat mehr als einen bloßen Katalog dar und können mit ihrem beträchtlichen Umfang direkt für die Hegelforschung verwendet werden. Teil 1 ist der eigentliche Katalog der Handschriften, Autographen und Handexemplare Hegels (von Ziesche erstellt); Teil 2 besteht aus einer analytischen Untersuchung der von Hegel verwendeten Papiere (hier hatte Ziesche die Mithilfe des Papierexperten Dierk Schnitger). Mit diesem Werk kann Ziesche das Ergebnis ihrer langjährigen Erfahrung mit dem Hegel-Nachlaß vorlegen, arbeitet sie doch bereits seit 32 Jahren in der Handschriftenabteilung der SBB. Dieser Band hat übrigens den 1996 verliehenen Preis der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erhalten.

Die Einträge des Katalogs beschreiben ausführlich jede Handschrift, z.T. unter Wiedergabe der Texte von interessanten Stellen. Diese Textstellen wurden lesbarer gemacht, indem die von Hegel abgekürzten Wörter in Klammern vervollständigt sind. Eine detaillierte physische Beschreibung des verwendeten Papiers und der Tinte ist eingeschlossen, und alle auffallenden schriftlichen und nicht-schriftlichen Merkmale sind ebenfalls erwähnt. Ein wichtiger Zusatz ist die sorgfältige Beschreibung derjenigen Stellen, an denen Hegel Wörter oder Passagen gestrichen bzw. geändert hat. Dazu kommen zahlreiche Literaturangaben von Veröffentlichungen, die auf den hier beschriebenen Handschriften beruhen oder diese behandeln.

Der 2. Teil besteht aus einem Katalog der Wasserzeichen, die auf den von Hegel verwendeten Papieren gefunden worden sind und bietet gleichfalls einen reichen Schatz an analytischen Untersuchungen für die Hegelforschung. Der Band beginnt mit einer 30-seitigen Untersuchung von Papieren, Wasserzeichen, Schreibgeräten und Schriften und auf den Katalog der Wasserzeichen folgen noch 211 Elektronenradiographien. Damit gelingt es den beiden Autoren, eine Chronologie der verschiedenen Lebensabschnitte Hegels festzulegen, die als eigenständiger Beitrag zur Hegelforschung weit über das hinausgeht, was man billigerweise von einem Nachlaßverzeichnis erwarten kann.

Der Katalog folgt dem großzügigen und benutzerfreundlichen Format der anderen Bände in der Reihe Kataloge der Handschriftenabteilung / Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz:[2] Ausreichend große und unterschiedliche Schriften helfen, die Textteile leicht zu erkennen und zu lesen. Das größere Format des Bandes macht es möglich, auch kleinere Details in den Abbildungen der Wasserzeichen zu erkennen. Die Anlage von Teil 1 mit dem Katalog folgt der allgemeinen Ordnung des Hegel-Nachlasses in der SBB. Die handschriftlichen Blätter sind in sechzehn Kästen aufbewahrt, und sie bilden die jeweiligen Teile des Katalogs. Jedes Blatt bzw. jede Gruppierung von Blättern ist sorgfältig mit Nummern und den ersten Zeilen eines Textes gekennzeichnet. Wenn möglich, so sind die Papiere und die darauf enthaltenen Textteile datiert. In vielen Fällen sind historische Besonderheiten der Handschriften vermerkt, ebenso deren Provenienz. Diese detaillierte Beschreibung macht es möglich, eine physische und inhaltliche Identifizierung einer Handschrift vorzunehmen, ohne die Handschrift selbst sehen zu müssen. Der Katalog bietet darüber hinaus dem Wissenschaftler Literaturhinweise, wo man benötigte Handschriften gedruckt oder beschrieben finden kann. Zusätzlich zu dem Nachlaßteil gibt es einen Anhang mit nicht weniger als 44 Teilen. Diese beschreiben andere Hegeliana, die sich nur zum Teil im Besitz der SBB befinden: wichtige Handexemplare von Hegel, die bedeutende Autographensammlung (seit dem Krieg wird diese Sammlung in der Biblioteka Jagiellonska in Kraków aufbewahrt), und relevante hegelsche Handschriften aus anderen Sammlungen der SBB.

Beide Teile besitzen eigene Register: Teil 2 hat ein Register der Wasserzeichen, während Teil 1 ein Verzeichnis der Initien sowie ein Sach- und Personenregister bietet. Letzteres ist leider nur begrenzt nützlich: mehrere wichtige Themen, die im Textteil erwähnt sind, fehlen im Register. Da die Inhaltsangaben ohne Beschreibung und nur nach Nachlaß- bzw. Anhangnummern versehen sind, vermißt man auch ein Register von größeren Themenbereichen. Da die Nachlaßkästen zum Teil nach groben Themen geordnet sind, wäre es zudem hilfreich gewesen, die Inhaltsangabe mit einer narrativen Beschreibung der Nachlaßnummern zu ergänzen. Hier stoßen wir auf eine Schwäche dieses ansonsten ausgezeichneten Katalogs, denn gesuchte Einzelbegriffe oder Themen lassen sich über den Erschließungsapparat nur bedingt finden. Da Wissenschaftler die Vorteile von elektronischen Datenbanken in wachsendem Maß schätzen lernen, wird es immer schwieriger, sie durch solche gedruckten Kataloge zufriedenzustellen. Die Möglichkeit, in diesen Katalogen mit Hilfe Boolescher Operatoren zu recherchieren, würde ihren Wert für die Wissenschaft wesentlich erhöhen, weshalb eine CD-ROM-Version ein ausgesprochenes Desiderat darstellt.

Ein wesentlicher Aspekt eines handschriftlichen Nachlasses bezieht sich auf den Hintergrund und die Vorgeschichte seines Entstehens und Fortbestandes. Mit Eva Ziesche besitzt der Hegel-Nachlaß der SBB eine intime Kennerin. Obwohl nicht ohne Lücken, besitzen wir ein relativ gutes Bild davon, was mit den Handschriften nach Hegels Tod geschehen ist. Hegel selbst war ein eifriger Aufbewahrer seiner eigenen Schriften und anderer wichtiger Lebensurkunden (wie an den vielen Exponaten, die sogar noch aus seiner Schulzeit stammen, im Hegel-Haus in Stuttgart zu sehen ist). Nach seinem Tod fiel der Nachlaß an seine Frau Marie, und sein Schüler Friedrich Förster übernahm die Verwaltung der Sammlung. Sie wurde zuerst für die Herausgabe der Werke-Ausgabe des Vereins der Freunde des Verewigten verwendet, die mit dem Band Briefe von und an Hegel 1877 von Hegels Sohn Karl abgeschlossen war. Die Söhne Immanuel und Karl haben dann 1889 beschlossen, den Nachlaß an die Königliche Bibliothek in Berlin abzugeben, nachdem sie die Sammlung geordnet und mit Anmerkungen versehen hatten. Leider haben sie zuvor - um vermeintlichem Mißbrauch zu wehren - eine beträchtliche Zahl von Handschriften vernichtet. Ludwig Stern, Orientalist an der Königlichen Bibliothek, hat das erste Inventar des Nachlasses vorbereitet. Er hat das alphanumerische Ordnungssystem von Karl Rosenkranz (Herausgeber der ersten Gesammelten Werke) und Karl Hegel weiterverwendet. Später wurden die Handschriften sorgfältig gebunden und 1904 war die Archivierungsarbeit beendet. Trotz der sorgfältigen Aufbewahrung der Handschriften durch Hegel und seine Familie war es nicht zu vermeiden, daß viele Stücke in den Besitz anderer gerieten. Aus diesem Grund hat die Staatsbibliothek im 20. Jahrhundert aktiv weitere Hegel-Nachlässe erworben. Die wichtigste Bereicherung der Sammlung kam 1935 aus dem Besitz von Frieda Sixt von Arnim, einer Enkelin von Immanuel Hegel. Für die noch nicht abgeschlossene Bochumer Ausgabe im Meiner-Verlag, Hamburg, waren die Handschriften 1958 aus ihren Einbänden herausgenommen und in die gegenwärtige Ordnung in Kästen zusammengeordnet worden. Die ursprüngliche Anordnung von Rosenkranz, Karl Hegel und Stern ist jedoch größtenteils noch heute erhalten.

Ziesches Katalog der Hegel-Bestände der SBB ist also in vieler Hinsicht eine Widerspiegelung der Vorgeschichte der Sammlung. Es ist nicht schwer, zu erkennen, daß der Sammlung durch den beträchtlichen Umfang und die starke Kontinuität des Nachlasses, anfangs durch Hegel selbst bis hin zur Aufbewahrung an der Königlichen Bibliothek, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Hegelforschung beigemessen werden muß. Seit Diltheys Wiederentdeckung des Nachlasses um die Jahrhundertwende diente diese Sammlung als wesentliche Quelle für die Erforschung von Hegels geistiger und intellektueller Entwicklung. Als Widerspiegelung dieser Geschichte kann der Katalog als Tor zu diesem Reichtum angesehen werden.

Roger Brisson


[1]
Hegel-Studien. - 30 (1995), S. 267. (zurück)
[2]
Sie erscheint seit 1979 im Verlag Harrassowitz in drei Reihen für Handschriften, Nachlässe und Illuminierte Handschriften. (zurück)

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