Medienserver
des BSZ
Baden-Württemberg
Rezension zu

Vita Sancti Fridolini.
Leben und Wunder des heiligen Fridolin von Säckingen.
von
Mechthild Pörnbacher

Stand: 29.05.2002
Bibliographische Beschreibung
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Mechthild Pörnbacher, Vita Sancti Fridolini. Leben und Wunder des heiligen Fridolin von Säckingen. Beschrieben von Balther von Säckingen, Bischof von Speyer. Texte - Übersetzung - Kommentar. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag 1997. XXIV, 352 S., 40 Abb. DM 98,--.

Kernstück dieser Heidelberger Dissertation, die an die Bemühungen ihres Betreuers Walter Berschins um die Geschichte Säckingens (vgl. BWKG 91, 1991, S. 416f.; 94, 1994, S. 255) anknüpfen kann, ist die Ausgabe und Untersuchung der lateinischen Fridolinsvita - ein "Werk der Ottonischen Renaissance" (S. VII), das Balther (Bischof Balderich von Speyer 970-987) etwa 960/70 verfaßte und seinem einstigen Lehrer Notker von St. Gallen widmete. Die Autorin unterrichtet kompetent über Balthers Leben und über Sprache, Stil und Quellen der Vita, die sie zudem ausführlich kommentiert. Ediert und erläutert werden darüberhinaus das ebenfalls von Balther verfaßte liturgische "Fridolins-Offizium", die Texte für das Stundengebet an seinem Fest, sowie das Säckinger Hilarius-Offizium, das Pörnbacher gleichfalls Balther zuschreiben will. Ergänzt werden die Editionen lateinischer hagiographischer und liturgischer Texte durch den Abdruck eines deutschsprachigen: der Übersetzung der Fridolinsvita in der um 1478 zusammengestellten Sammlung des Zürichers Heinrich Kramer (Stiftsbibliothek Engelberg Cod. 240). Außerdem enthält die Arbeit umfangreiche Materialien zur handschriftlichen Überlieferung der Texte und zur Fridolins-Verehrung, insbesondere zur Rezeptionsgeschichte des Ursus-Mirakels, das literarisch zuerst im sogenannten "Provincia-Anhang" der "Legenda Aurea" begegnet. In dieser Wundererzählung des 13. Jahrhunderts erweckt Fridolin den toten Ursus wieder zum Leben und erscheint mit ihm vor Gericht, um die Ansprüche Säckingens auf Glarus zu verteidigen. Die Ausführungen zu den Codices der "Legenda Aurea" (S. 169-192) stellen zugleich eine Ergänzung dar zu den 1991 erschienenen Studien zur Überlieferungsgeschichte der lateinischen Legenda Aurea" von Barbara Fleith. Zur Datierung des Ursus-Mirakels wäre ein Hinweis auf die früheste bildliche Darstellung, die sich auf dem 1277 belegten Siegel des Leutpriesters Heinrich von Glarus vorfindet, willkommen gewesen (vgl. BWKG 89, 1989, S. 354 Anm. 39).

Kritisch anzumerken habe ich nur wenig. In der umstrittenen Frage eines historischen Kerns der Vita entscheidet sich die Autorin dafür, Balther grundsätzlich Glauben zu schenken und in Fridolin den "Träger und Organisator der Alemannenmission, die Chlodwig I. nach seiner Eroberung Alemanniens in die Wege leitet", zu sehen (S. 124). Da die Anhaltspunkte - Hauptindiz ist die Erwähnung des Bistums Chur (S. 110) - mehr als vage sind, wird man angesichts der Quellenlage wohl besser bei einem "non liquet" bleiben.

Zweifel sind anzumelden bei der genauen Datierung der Basler Handschrift E II 4 auf 1485/85 (S. 135). Ein 1485 erstmals bezeugtes Ochsenkopf-Wasserzeichen, dessen Datierung noch nicht einmal nach der Sammlung Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart kontrolliert wurde, ist wohl kaum ein verläßlicher Terminus post quem. Als Terminus ante quem dient das Todesjahr 1486 des seit 1483 in Basel wirkenden Druckers Peter Köllicker, der ein lateinisches Fridolinsleben zum Druck brachte. Pörnbachers textkritische Annahme, der Solothurner Codex (Sigle: O) aus dem 13. Jahrhundert sei die unmittelbare Druckvorlage gewesen (S. 134 und Stemma S. 155), ist allerdings lediglich eine Hypothese, die sich nur auf zwei wenig aussagekräftige Varianten stützen kann (von O existieren nur noch zwei Blätter). Möglich ist ja auch, daß die von späterer Hand in O vorgenommenen Änderungen - die von O abgeschriebene Basler Handschrift hat sie noch nicht - bereits auf die Inkunabelausgabe zurückgegriffen haben. Und vielleicht befand sich die ehemals Säckinger Handschrift O im 15. Jahrhundert gar nicht mehr in Säckingen? Sicherer Terminus ante quem für die Basler Handschrift ist allein das Todesjahr des Kartäusers Heinrich Arnoldi 1487, der in ihr Randbemerkungen hinterließ (S. 136).

Bemerkenswert ist der Rückgriff auf die hochmittelalterliche Überlieferung im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts. Außer der in die Basler Kartause gelangten Sammlung von Fridolin-Texten und dem Basler Köllicker-Druck mit den Texten (Viten und Offizien) für die Säckinger Patrone Fridolin und Hilarius (beide wohl um 1485) sind zu nennen die Brevierausgaben von Basel 1478 und Konstanz 1482 (gedruckt ebenfalls in Basel), in die das Fridolinsoffizium aus ottonischer Zeit aufgenommen wurde (S. 89). Die Drucke des Basler Breviers stehen der hochmittelalterlichen Säckinger Handschrift GLA 65/429 näher als dem Brevier des Basler Bischofs Friedrich ze Rin von 1437/39 (S. 86f.). Um 1478 nahm der "lermeister" Heinrich Kramer von Zürich in seine umfangreiche Sammlung deutschsprachiger Legenden auch eine Übersetzung der Balther-Vita auf. Der Basler Drucker Bernhart Richel publizierte um 1480 eine andere Übertragung, die schon 1432 von dem Säckinger Bürger Johannes Gerster abgeschrieben worden war (S. 193f.). Die Beschäftigung mit älteren Quellen ist in der Tat "ein typischer Zug des ausgehenden Mittelalters: neben dem Aufbruch ins Neue steht das Bewahren des Alten" (S. 181, vgl. auch S. 89). Am besten bekannt ist der sogenannte "Klosterhumanismus", eine Art "monastischer Historismus" (vgl. Klaus Graf, in: Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts, 1995, S. 143), doch verdienen auch die Bemühungen außerhalb der Klöster um die hagiographische, liturgische und theologische Überlieferung des hohen Mittelalters Beachtung. Am gründlichsten untersucht sind "Jakob Wimpfelings Bemühungen um die Verbesserung der liturgischen Texte" (durch Rainer Donner 1976).

Mit Pörnbachers umsichtiger Studie, die mit zahlreichen, auch farbigen Abbildungen bibliophil aufgemacht ist, liegt ein Standardwerk zu Balthers Werk und seiner Wirkung vor, dem weite Verbreitung gewünscht werden darf.

Klaus Graf